Zu früh zur Arbeit: 340 Euro Strafe?
Auch Berichte seriöser Quellen sollten kritisch hinterfragt werden
Ein Nachrichtenmagazin veröffentlicht online einen Beitrag unter der Überschrift „Ausgangssperre: Altenpflegerin zahlt 340 Euro Strafe, weil sie zu früh zur Arbeit ging“. Die Frau habe ihre Wohnung um 4:50 Uhr verlassen und damit die Ausgangssperre um zehn Minuten gebrochen. Das werfe Fragen der Verhältnismäßigkeit auf. Ein Leser des Magazins sieht in der Berichterstattung einen Verstoß gegen die Ziffern 2 (Journalistische Sorgfaltspflicht) und 3 (Richtigstellung) des Pressekodex. Schon bei der Behauptung, eine Altenpflegerin aus Baden-Württemberg habe 340 Euro Strafe zahlen müssen, weil sie zu früh zur Arbeit gegangen sei, sollte jedem Journalisten klar sein, dass hier etwas nicht stimme. Die Strafe wegen eines Verstoßes gegen die Ausgangssperre betrage 75 Euro. Zum anderen seien Fahrten zur Arbeit erlaubt, gerade in medizinischen Berufen. Der Beschwerdeführer teilt ferner mit, die Polizei habe sich später dahingehend geäußert, dass ihr zu dem Fall keine Informationen vorlägen. Das lasse vermuten, dass die Behörde gar keinen Bußgeldbescheid erlassen habe. Der Autor des Magazin-Beitrages habe offensichtlich berichtet, ohne sich einen Bußgeldbescheid vorlegen zu lassen. Er habe keine Stellungnahme der Polizei abgewartet. Grundlage des Beitrages sei lediglich die Behauptung der Altenpflegerin gewesen. Der Chefredakteur des Magazins teilt mit, die Redaktion habe mittlerweile anstelle des ursprünglichen Artikels einen Beitrag veröffentlicht, in dem die neueren Rechercheergebnisse dargestellt würden. Die Redaktion sei noch einmal daran erinnert worden, wie wichtig es sei, auch Berichte zweifellos seriöser Quellen kritisch zu hinterfragen. Ob der Vorgang sich so wie geschildert zugetragen habe, sei aus heutiger Sicht offen. Es sei auch nicht das Gegenteil belegt. Der Chefredakteur deutet an, es könne durchaus auch ein Fehlverhalten von Polizisten vorliegen, das nicht aktenkundig und/oder im Nachhinein verschleiert worden sei. Durch die jetzt gewählte Form der Darstellung und die transparente Abänderung der ursprünglichen Berichterstattung seien aus Sicht der Redaktion jedenfalls kodexkonforme Verhältnisse hergestellt worden.