Zeitung spricht von „Polizisten-Killer“
Presserat rügt einen schweren Verstoß gegen presseethische Grundsätze
An zwei aufeinanderfolgenden Tagen berichtet eine Boulevardzeitung online über die Festnahme von zwei Tatverdächtigen im Fall eines Tötungsdeliktes an zwei Polizeibeamten. Ein Verdächtiger wird im Bild gezeigt. In der Überschrift ist von einem „Polizistenmörder“ die Rede. Im Text heißt es zu Beginn: „Hier wird einer der Polizisten-Killer abgeführt!“. Auch in einer Kolumne zu dem Fall nennt die Redaktion einen der Verdächtigen „Killer“. Insgesamt acht Leserinnen und Leser der Zeitung wenden sich mit einer Beschwerde an den Presserat. Sie sehen Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte des Abgebildeten, eine Vorverurteilung und einen Verstoß gegen das Gebot zur Unschuldsvermutung bei Verdächtigen. Der Verlag lässt eine Anwältin auf die Beschwerden antworten. Diese beruft sich auf Ziffer 8, Richtlinie 8.1, des Pressekodex. Darin ist festgehalten, dass an schweren Straftaten ein begründetes Interesse der Öffentlichkeit bestehe. Es sei Aufgabe der Presse, die Öffentlichkeit darüber zu unterrichten. Nach Absatz 2 der Richtlinie kann die Presse Fotos, durch die Verdächtige oder Täter identifizierbar werden könnten, dann veröffentlichen, wenn das öffentliche Interesse die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen überwiege. Im vorliegenden Fall gehe es – so die Anwältin weiter – um eine außergewöhnlich schwere und in ihrer Art und Dimension besondere Straftat. Dass gleich zwei Polizisten bei einer Routine-Verkehrskontrolle erschossen würden, passiere in Deutschland äußerst selten. Darüber hinaus habe die Tat in aller Öffentlichkeit stattgefunden. Was die persönlichkeitsrelevanten Informationen über den im Bild gezeigten mutmaßlichen Täter betreffe, sei die Berichterstattung nicht über das hinausgegangen, was von den Behörden im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsfahndung zur Verfügung gestellt worden sei. Im Übrigen habe die Redaktion innerhalb von 50 Minuten das Gesicht des im Bild gezeigten Mannes mit einem anonymisierenden Balken versehen. Die Art der Berichterstattung mache dem durchschnittlich verständigen Leser klar, dass noch lange keine rechtskräftige Verurteilung des Verdächtigen vorliege. Es sei im Text immer von Verdächtigen die Rede. Nach alledem könne von einem Verstoß gegen die Presseethik nicht die Rede sein.