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Ohne Grund „Wahl-Klau“ vorgeworfen

Überschrift suggeriert undemokratische Pläne von SPD und Grünen im Land Berlin

„Rot-Grün bereitet Wahl-Klau gegen die CDU vor“: Unter dieser Überschrift berichtet eine Boulevardzeitung online über die bevorstehende Wahl des Berliner Landesparlaments. Laut Wahlumfragen würde die CDU die stärkste Partei werden. Nach Darstellung der Zeitung würde dies bedeuten: „Die CDU hätte den Regierungsauftrag. Doch SPD und Grüne wollen das offenbar verhindern. Man wolle auch bei Niederlage mit der Linkspartei (aktuell bei 12 Prozent) ein Bündnis schmieden – und weiterregieren, heißt es aus beiden Parteien.“ - Der Beschwerdeführer hält den Begriff „Klau“ für anti-demokratisch und sehr gefährlich. Wenn SPD, Grüne und Linke gemeinsam die Mehrheit hätten, wäre ein Weiterregieren kein Klau, sondern entspräche dem Wahlergebnis. - Der Verlag entgegnet, es handele sich nicht um eine Falschbehauptung, sondern um eine typische, stets zulässige Meinungsäußerung, eine publizistische Bewertung politischen Geschehens, die auf diversen wahren Anknüpfungspunkten beruhe. Der Artikel unterstelle SPD und Grünen nicht, dass sie „Stimmen an sich reißen“ (also gewissermaßen Stimmen „klauen“) oder vielleicht ungezählt lassen wollten. Es werde auch durchaus darauf hingewiesen, dass es Beispiele für eine Regierungsbildung über einen Zweitplatzierten gebe. Doch das von SPD, Grünen und Linken angekündigte Vorhaben, eine Koalition selbst dann bilden zu wollen, wenn die CDU die stärkste Fraktion stelle, verstoße nach Meinung der Redaktion gegen den Grundsatz, dass der Wahlgewinner die Möglichkeiten einer Koalition sondiert. Der beanstandete Bericht kritisiere dieses Vorhaben pointiert-zugespitzt als „Wahl-Klau“. Politik zu kritisieren – wenn nötig auch in Form polemischer, provokativer Schlagzeilen – gehöre zu den Grundaufgaben und -pflichten der Presse. - Der Beschwerdeausschuss sieht eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex und spricht eine Rüge aus. Denn die Überschrift suggeriert fälschlicherweise ein unzulässiges Handeln der Rot-Grünen-Koalition.