Trotz schweren Tatvorwurfs keine Gelegenheit zu Stellungnahme gegeben
Nach Kinderporno-Verdacht gegen Pfarrer hätte Zeitung ihn kontaktieren müssen
„Ist der 'coole‘ Pfarrer ein Kinderporno-Gucker?" Unter dieser Schlagzeile berichtet eine Boulevardzeitung online über einen Pfarrer, dessen Wohnung wegen des mutmaßlichen Besitzes von kinder- und jugendpornografischem Material durchsucht wurde. Nach Sichtung eines Teils der ungewöhnlich großen Datenmenge habe sich der Tatverdacht erhärtet, zitiert die Zeitung die Staatsanwaltschaft. Im Internet, so der Bericht weiter, habe der Pfarrer „klare Kante gegen sexuellen Missbrauch vonseiten der Kirche“ gezeigt. Die Redaktion nennt seinen Vornamen, den abgekürzten Nachnamen, die Kirchengemeinde sowie seine Internet-Eigenbezeichnung als „Kirchendude“ und „Influencer für Gott“; ferner zeigt sie Fotos von ihm, bei denen nur die Augenpartie verdeckt ist. - Der Beschwerdeführer sieht dadurch den Persönlichkeitsschutz und die Unschuldsvermutung nach den Ziffern 8 und 13 des Pressekodex verletzt. Mit den Angaben zur Person des Pfarrers und zu seiner Gemeinde lasse sich leicht sein voller Name herausfinden. Dabei sei der Tatvorwurf offensichtlich noch nicht erwiesen. Es handele sich also um eine Verdachtsberichterstattung, bei der die Anonymisierung besonders wichtig sei. Der Presserat erweitert die Beschwerde noch um eine mögliche Verletzung von Kodex-Ziffer 2 (Sorgfaltspflicht), weil die Redaktion dem Betroffenen offenbar keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe. - Die Zeitung entgegnet: „Gerichtsberichterstattung läuft so ab, dass die Angeklagten gepixelt werden und der Name abgekürzt wird“. Beides sei im Artikel geschehen. Der Tatvorwurf sei besonders schwer, und der Pfarrer sei einen Tag nach der Durchsuchung auf eigenen Wunsch vom Dienst suspendiert worden. Zudem habe er mit seinen Internetaktivitäten selbst die Öffentlichkeit gesucht und sei dadurch bekannt geworden. Ob die Redaktion dem Beschuldigten die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe, sei unklar: „Es kann sein, dass wir damals versucht haben, telefonisch zu ihm Kontakt aufzunehmen, es aber nicht gelang. In jedem Fall haben wir ordentlich beim Bistum angefragt.“ - Wegen der fehlenden bzw. nicht ausreichenden Gelegenheit zur persönlichen Stellungnahme spricht der Beschwerdeausschuss einstimmig eine öffentliche Rüge aus. Es handelt sich hier um einen schweren Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Kodex-Ziffer 2. Bei Kinderpornografie kann schon der bloße Verdacht zu einer sozialen Ächtung des Betroffenen führen. Zudem war der Pfarrer identifizierbar. Deshalb hätte die Redaktion ihn nachhaltig mit den Verdächtigungen konfrontieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Der bloße Versuch einer telefonischen Kontaktaufnahme - falls sie überhaupt stattgefunden hat - reichte dafür nicht aus, auch nicht die Anfrage an das Bistum. Denn bei einer Verdachtsberichterstattung über Straftaten muss der Betroffene selbst mit den Vorwürfen konfrontiert werden. Der Weg über den Arbeitgeber ist nur dann ausreichend, wenn der Betroffene nicht anders erreicht werden kann und die Anfrage deshalb über den Arbeitgeber an den Betroffenen gerichtet werden muss. Einen Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 sieht der Beschwerdeausschuss aber nicht. Denn wegen der Schwere des Tatvorwurfs, der hohen Intensität des Verdachts, des früheren öffentlichkeitswirksamen Auftretens als Influencer und des bestehenden Widerspruchs der vorgeworfenen Taten zu seiner Funktion als Pfarrer überwiegt hier das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen. Auch gegen die Unschuldsvermutung nach Ziffer 13 hat die Redaktion nicht verstoßen: Sie hat die presseethisch zulässige Form der Verdachtsberichterstattung gewahrt.