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Nicht distanziert genug über Korruptionsvorwürfe berichtet

Zeitung gibt dem Beschuldigten keine Gelegenheit zu Stellungnahme

Eine Lokalzeitung berichtet über die Mitteilung eines Sportkreisverbands, wonach sein (nicht mit Namen genannter) Geschäftsstellenleiter mit sofortiger Wirkung freigestellt worden sei. Grund dafür seien unter anderem „Unstimmigkeiten in ‚kasseninternen Abläufen‘“. „Wir sind dem Verdacht nachgegangen, dass Gelder zweckentfremdet wurden“, wird ein Sprecher zitiert. Und weiter: „Es sind rabenschwarze Zeiten für den Sportkreis“. In der Printausgabe trägt der Artikel die Überschrift „‘Rabenschwarze Zeiten‘ für den Sportkreis“ und online den Titel „Sportkreis (...): Gelder über Jahre veruntreut - Leiter der Geschäftsstelle ist gekündigt“. Online heißt es außerdem: „Der Leiter der Geschäftsstelle des Sportkreises hat über mehrere Jahre hinweg die Kasse unsachgemäß geführt und wurde zum 31. Dezember 2022 gekündigt.“ - Die Beschwerdeführerin trägt vor, beide Überschriften verletzten die Ziffern 1, 2, 8 und 13 des Pressekodex. Es sei nicht erkennbar, dass es sich bei den Anschuldigungen um unbestätigte Behauptungen handele. Die Anführungsstriche in der Print-Überschrift reichten dazu nicht aus. Online fehlten sie völlig. Dies sei eindeutig vorverurteilend und schädige massiv das Ansehen des Beschuldigten. Die Zeitung fungiere hier als Pranger. Als Geschäftsstellenleiter sei er leicht zu identifizieren. Inzwischen habe sich herausgestellt, dass die Vorwürfe mindestens zum größten Teil nicht substantiiert gewesen seien. Eine Richtigstellung der Zeitung sei allerdings bisher unterblieben. Stattdessen sei ein weiterer Artikel erschienen, der grobe Schnitzer enthalte und die entlastenden Punkte nicht richtig oder gar nicht erwähne. - Die Geschäftsführerin und Chefredakteurin weist die Vorwürfe zurück. Die Informationen im Artikel seien deutlich als Aussagen des Sportkreises gekennzeichnet. Aus dem ebenfalls kritisierten späteren Artikel gehe hervor, dass das Arbeitsgericht inzwischen in einigen Punkten dem Kläger und in anderen Punkten dem Sportkreis Recht gegeben habe und dass das Gericht die außerordentliche Kündigung für nicht Rechtens halte. Das Verfahren sei aber noch nicht abgeschlossen. - Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus. Denn die Berichterstattung verstößt schwerwiegend gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex und gegen die Unschuldsvermutung (Ziffer 13). Der Artikel erwähnt ausführlich die zivil- und strafrechtlich relevanten Anschuldigungen gegen den Geschäftsstellenleiter. Wegen der Schwere der Vorwürfe hätte die Zeitung ihm zwingend Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Berichterstattung über diese Anschuldigungen zum Teil in Form redaktioneller Tatsachenbehauptungen erfolgt. Zudem ist davon auszugehen, dass der Betroffene aufgrund seiner Stellenbezeichnung identifizierbar ist. Insofern wirkt die Berichterstattung für ihn auch vorverurteilend.