„Pauschal verurteilender Artikel“
Leid der Verschickungskindern ist von großem öffentlichen Interesse
Unter der Überschrift „Albtraum statt Erholung“ berichtet eine Zeitschrift über die erst jetzt begonnene Aufarbeitung von Missbrauchsfällen bei Aufenthalten in Kurheimen. Diese hätten bis in die 70er Jahre stattgefunden. Die Redaktion schreibt: „Bis in die 1970er Jahre wurden viele hunderttausend Kinder bei Aufenthalten in Kurheimen misshandelt.“ Im Text heißt es weiter: „Mutmaßlich viele 100.000 Mädchen und Jungen aus ganz Deutschland wurden zwischen den 1950er und 1970er Jahren auf ärztliche Weisung in Kinderkurheime verschickt und dort in großer Zahl seelisch und womöglich auch körperlich misshandelt.“ Eine Leserin der Zeitschrift (sie hat viele Jahre lang als Erzieherin in „sauberen Heimen“ gearbeitet) sieht in der Berichterstattung einen Verstoß gegen die Ziffer 2 des Pressekodex (Journalistische Sorgfaltspflicht). Sie kritisiert die oben genannten Textpassagen. Außerdem stört sie sich an diesem Satz: „1963 gab es (…) 839 Heime mit Platz für jährlich 350.000 Kinder.“ In dem Artikel fehle jeder Hinweis auf die Relationen zwischen den Zahlen. Wortwahl und Argumentationsaufbau legten nahe, dass sich „in großer Zahl“ auf alle jemals Verschickten beziehe. Außerdem schreibe die Redaktion über die Betroffenen: „Viele andere“. Viele andere von wie vielen, fragt die Beschwerdeführerin. Im Text sei von 1400 Betroffenen die Rede, die sich zurückgemeldet hätten. Und es heiße weiter, dass es ganz wenige positive Berichte gegeben habe. In dem Artikel sei kein Hinweis auf die Relation zwischen „belasteten“ und „sauberen“ Heimen zu finden. Die Beschwerdeführerin fühlt sich durch die verallgemeinernde Schuldzuweisung in diesem Artikel diskriminiert. Es sei richtig und zwingend, die Verletzungen des Kindeswohls in den entsprechenden Heimen aufzudecken. Die Schuldigen sollten, wenn es denn noch möglich sei, zur Verantwortung gezogen werden. Das könne aber nicht durch einen undifferenzierten und pauschal verurteilenden Artikel geschehen. Die Chefredakteurin der Zeitschrift lässt den Autor des Beitrages zu der Beschwerde Stellung nehmen. In dem kritisierten Text seien ausschließlich drei betroffene Frauen mit ihren persönlichen und leidvollen Erfahrungen als Verschickungskinder vorgestellt worden. Keine einzige Person sei identifizierbar beschrieben worden, die zu dieser oder einer anderen Zeit in einem der betroffenen Heime gearbeitet habe. Das gelte selbstverständlich auch für die der Redaktion unbekannte Beschwerdeführerin.