Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Presse
Online-Plattform missachtet Gebot der Trennung von Tätigkeiten
Eine örtliche Online-Plattform analysiert unter der Überschrift „Hat Ingolstadt seine Zukunft hinter sich?“ die wirtschaftliche Situation der oberbayerischen Stadt in Zeiten der Corona-Krise. Unter anderem schreibt der Autor: „Und genau in dieser Situation übernimmt nach den Kommunalwahlen im Mai ein Stadtrat das Ruder, der zum einen aus vielen neuen und völlig unerfahrenen Mitgliedern besteht. Und der zum anderen durch die drastisch veränderten Mehrheitsverhältnisse keine Entscheidungen erwarten lässt, die von wirtschaftlicher Kompetenz geprägt sind.“ Zur anstehenden Oberbürgermeister-Stichwahl heißt es in dem Beitrag, niemand wisse, ob die Bürger mehrheitlich Willens seien, mitten in dieser folgenschwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg den amtierenden und im Katastrophenmanagement involvierten OB gegen einen unerfahrenen Neuling zu tauschen. Eine Woche später berichtet die Online-Plattform über die OB-Wahlen in Ingolstadt. Einer der Kandidaten, der amtierende Oberbürgermeister, habe angesichts der Corona-Krise keine Zeit für einen Wahlkampf. Er habe sich daher mit einem Brief an die Wähler gewandt. Zwei Nutzer des Online-Auftritts wenden sich mit Beschwerden an den Presserat. Beide kritisieren, dass es sich bei den beiden Artikeln um Kommentare handele, die die persönliche, parteipolitische Meinung des Autors wiedergäben. Es fehle ein Hinweis auf den Kommentar-Charakter der Beiträge. Der Autor sei Mitglied der CSU und habe erfolglos für den Stadtrat kandidiert. Er sei ein Unterstützer des CSU-OB. Mit den Veröffentlichungen – so die Beschwerdeführer – schaffe man Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit des Mediums ab. In den Vorprüfungen wurden beide Verfahren auf Ziffer 6 des Pressekodex (Trennung von Tätigkeiten/Doppelfunktionen) beschränkt. Der Chefredakteur teilt mit, es sei richtig, dass der Autor der beiden kritisierten Beiträge bei den Kommunalwahlen für die CSU kandidiert habe. Dieser versichere aber, dass er nicht Mitglied der Partei sei. Auch der Autor nimmt Stellung. Bei den beanstandeten Texten handele sich um Features, die naturgemäß etwas pointiert seien. In keinem Fall habe es sich um einen Text gehandelt, der eine Klassifizierung als Kommentar erfordert hätte.