Titel von wissenschaftlicher Arbeit genannt
Magazin: Die Interessen der Öffentlichkeit überwiegen in diesem Fall
Ein Nachrichtenmagazin berichtet über Fahndungserfolge im linksextremen Spektrum. Im Beitrag findet sich diese Passage: „Als großer Wurf gilt dabei die Verhaftung der 25-jähigen Lina E. aus Leipzig. Beamte des Landeskriminalamtes Sachsen holten die Studentin (Bachelorarbeit 2018: ´Zum Umgang mit Neonazismus in der Jugendarbeit – Der NSU im Jugendclub Winzerla´) am 5. November 2020 aus ihrer Wohnung im Stadtteil Connewitz.“ Die oberste deutsche Anklagebehörde unter Generalbundesanwalt Peter Frank stufe Lina E. als Kopf einer kriminellen Vereinigung ein, die den demokratischen Rechtsstaat bekämpfe. Ein Leser des Magazins stellt fest, in dem Artikel sei zwar nicht der vollständige Name der Beschuldigten genannt worden, jedoch der vollständige Titel ihrer Bachelorarbeit, wodurch sich innerhalb einer kurzen Recherche der vollständige Name herausfinden lasse. Er sieht einen möglichen Verstoß gegen Richtlinie 8.1 des Kodex (Schutz der Persönlichkeit/ Kriminalberichterstattung). Der zuständige Ressortleiter teilt mit, zum Zeitpunkt der Berichterstattung sei nicht abzusehen gewesen, dass es möglicherweise später relevante Suchtreffer geben könnte, aus denen der volle Name von Lina E. ersichtlich werden könnte. Da das hochpolitische Thema der Bachelorarbeit aus Sicht des Autors relevant gewesen sei, habe er es im Artikel erwähnt. Eine mutmaßliche Linksextremistin befasse sich im Studium intensiv mit Rechtsextremisten – daran könne man als Journalist nicht vorbeigehen. Die Nennung des Titels habe also rein inhaltliche Gründe. Sie sei aus Sicht der Redaktion nach wie vor gerechtfertigt, da in diesem Fall die berechtigten Interessen der Öffentlichkeit überwögen. Es wäre ein erheblicher Verlust für die Leserinnen und Leser, wenn sie nicht über die wissenschaftliche Betätigung der Beschuldigten mit Extremismus-Themen anhand des Originaltitels ihrer Arbeit informiert werden könnten.