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Angehörige einer Verfolgung ausgesetzt

Zeitung fragt: „Wie leben die Eltern von Massenmördern weiter?“

Die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung setzt sich mit der Frage auseinander, wie die Eltern von Massenmördern weiterleben. Der Artikel ist untergliedert in die Schilderung des Elternschicksals nach spektakulären Verbrechen der letzten Jahre. Es beginnt mit dem Todespiloten Andreas Lubitz. Ein Trauma-Experte wird zitiert. Ihm zufolge stünden die Eltern unter Schock und machten sich große Vorwürfe. Sie würden sich fragen, was sie falsch gemacht hätten. Nächster Fall ist Anders Behring Breivik, der in Norwegen 77 junge Menschen bei einem Amoklauf auf einer kleinen Insel ermordete. Dessen Mutter habe vor langer Zeit das Sozialamt um Hilfe gebeten, weil sie überfordert gewesen sei, als sie mit ihrem zweijährigen Sohn nicht mehr fertig wurde. Die Mutter von Tim Kretschmer, der in Winnenden 15 Menschen umbrachte, wird mit dem Satz zitiert, sie habe ihren Sohn schon vor dem Jahr 2009 verloren. Den Tim Kretschmer, der die Tat begangen habe, kenne sie nicht. Die Mutter von Robert Steinhäuser, dem in Erfurt 16 Menschen zum Opfer fielen, sagte einer Zeitung, sie könne vor der Erinnerung nicht mehr fliehen. Diese würde sie an jedem Ort der Welt einholen, wohin sie auch fliehen wolle. Die Zeitung zeigt die vier jungen Männer, ohne die Fotos unkenntlich zu machen. Der Beschwerdeführer, ein Leser der Zeitung und Rechtsanwalt, kritisiert die Berichterstattung, weil die Angehörigen „eines lediglich Tatverdächtigen“ einer nicht vertretbaren und öffentlich bloßstellenden Verfolgung ausgesetzt würden. Die Rechtsabteilung der Zeitung hält die Vorwürfe für unbegründet. Die Thematisierung des familiären Hintergrundes des Co-Piloten Andreas Lubitz verstoße nicht gegen den Pressekodex. Das Interesse der Öffentlichkeit überwiege entgegenstehende Interessen des Co-Piloten deutlich. Die Öffentlichkeit habe ein Recht, zu wissen, wer für das Verbrechen verantwortlich ist, welcher Mensch die Tat begangen habe, wie er aussehe, was er vorher getan habe oder welche Krankheiten er möglicherweise gehabt habe. Dieses Wissen sei essenziell für die historische und emotionale Aufarbeitung. Die Identifizierbarkeit der Eltern sei eine unvermeidbare Begleitfolge der Kriminalberichterstattung über ihren Sohn. Dadurch, dass dessen Name und Wohnort genannt würden, sei die Identifizierung der Eltern unvermeidbar. Dabei dürfe es keine Rolle spielen, dass die Größe der Stadt Montabaur die Identifizierung der Eltern möglicherweise erleichtere. Dies ändere nichts an dem Schrecken des Verbrechens. Die Entscheidung der Redaktion, den Co-Piloten in eine Reihe zu stellen mit anderen Tätern, sei legitim und nicht zu beanstanden. Die Bezeichnung „Massenmörder“ sei eine zutreffende Beschreibung dessen, was in all diesen Fällen vorgefallen sei. Ein Massenmörder sei kriminalwissenschaftlich eine Person, die binnen kurzer Zeit eine Vielzahl von Menschen töte. Der Vorwurf der Vorverurteilung sei abwegig. Es könne kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass der Co-Pilot den Germanwings-Absturz vorsätzlich verursacht habe.