Einseitig Vorwurf der Falschaussage gegen Gerichtszeuginnen erhoben
Auch namentlich nicht genannte Personen müssen Gelegenheit zu Stellungnahme erhalten
Eine Lokalzeitung berichtet über aktuelle Entwicklungen in einem Konflikt um einen baufälligen denkmalgeschützten Speicher. Dessen Eigentümerin ist die Entwicklungsgesellschaft NLG, die dort für die Gemeinde ein neues Gewerbegebiet schaffen soll. Sie wehrt sich vor dem Verwaltungsgericht gegen einen Behördenbescheid, wonach sie unter anderem den zerstörten Dachstuhl durch ein Notdach sichern muss. Aus ihrer Sicht ist der Speicher wegen der Schäden nicht mehr denkmalwürdig. Strittig ist auch die Ursache der Zerstörung: Die NLG spricht von einem Sturmschaden; eine Bürgerinitiative will dagegen Baggerarbeiten beobachtet haben und vermutet, dass dadurch Fakten für einen Abriss des Speichers geschaffen werden sollten. In dem beanstandeten Artikel „Abriss oder Windschaden?" geht es um die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen vor dem Verwaltungsgericht. Zwei Frauen hatten ausgesagt, sie hätten einen Baggereinsatz am Speicher gesehen. Der strittige Artikel beginnt in der Onlinefassung mit den Worten: „Haben die Zeugen vor dem Verwaltungsgericht gelogen? Das zumindest behauptet die Niedersächsische Landgesellschaft (NLG) und legt ihrerseits Beweise vor." Die Zeugenaussagen werden so zusammengefasst: „Hat die Niedersächsische Landgesellschaft beim Zusammenbruch des (…) Speichers an der Natberger Straße nachhelfen lassen? Das zumindest behaupten vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück zwei Zeugen. Sie wollen gesehen haben, wie ein Bagger den Dachstuhl des historischen Gewölbes einriss und das Gebäude zum größten Teil zerstört hat. Dabei soll der Baggerfahrer im Auftrag der NLG oder vielleicht auch der Gemeinde gehandelt haben. Wollten sich die Gemeinde oder die NLG also bei der Entwicklung des neuen Gewerbegebiets (…) des denkmalgeschützten Gebäudes entledigen, wie es von der Bürgerinitiative (…) behauptet wird?" Die NLG bestreite dies: Einen Baggereinsatz habe es gar nicht gegeben. Weiter schreibt die Zeitung, die NLG und die Gemeinde fühlten sich durch diese "bewusste Falschaussage", so der Bürgermeister, verleumdet. - Die Beschwerdeführerinnen sind die im Beitrag namentlich nicht genannten Zeuginnen. In der überschaubaren Gemeinde seien sie vielen Menschen bekannt, schreiben sie. Durch den Artikel würden sie zu Unrecht einer erheblichen Straftat bezichtigt, nämlich einer Falschaussage vor Gericht. Die im Zeitungsartikel enthaltenen, in die Form einer Tatsache gekleideten verleumderischen Behauptungen seien geeignet, ihr gutes Ansehen unerträglich zu verunglimpfen. Deshalb hätten die beiden inzwischen auch Strafanzeige gegen die Zeitung gestellt. Aufgrund welcher Erkenntnisse der Bürgermeister den Vorwurf der Falschaussage erhoben habe, sei für sie nicht erkennbar. Das Verwaltungsgericht habe nicht den geringsten Vorwurf gegen sie erhoben. Außerdem fühlen sich die Zeuginnen falsch zitiert: Sie hätten nie behauptet, dass die NLG dem Zusammenbruch des Denkmals habe nachhelfen lassen, insbesondere nicht, dass der Baggerfahrer im Auftrag der NLG oder der Gemeinde gehandelt habe. Sie hätten auch nicht davon gesprochen, dass ein Bagger „das Gebäude zum größten Teil zerstört hat“. Sie hätten lediglich starke Beschädigungen des Dachstuhls und des Giebels beobachtet. Der Artikel sei einseitig und tendenziös. Die Zeitung habe den beiden nicht mal die Gelegenheit gegeben, zu den erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen. – Der Chefredakteur erinnert in seiner Stellungnahme daran, dass ihr langjähriger freier Mitarbeiter das Thema „Gewerbegebiet“ schon seit Jahren behandele, „ein äußerst emotionales Thema, das von beiden Seiten mit gewisser Härte in der Öffentlichkeit und vor Gericht geführt wird“. Bei der beanstandeten Berichterstattung beruft sich die Zeitung auf eine Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts. Demnach hätten zwei Zeuginnen berichtet, dass nach ihrer Wahrnehmung die Ursache für den Giebeleinsturz durch einen Bagger gesetzt worden sei. Da diese Information aus einer qualifizierten Quelle stamme, habe die Redaktion keinen Anlass gesehen, sie anzuzweifeln. In derartigen Fällen bestehe keine Pflicht zu einer Nachrecherche. Außerdem seien die Zeuginnen nicht identifizierbar, nicht einmal in Bezug auf ihr Geschlecht, denn im Artikel sei neutral von „zwei Zeugen“ die Rede. Folglich seien die beiden durch die Berichterstattung nicht betroffen. Insofern habe auch keine Pflicht bestanden, ihnen Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben. Beim Vorwurf der „bewussten Falschaussage“ sei für jeden Leser zweifelsfrei erkennbar, dass es sich dabei um eine Aussage des Bürgermeisters handele, die sich die Redaktion nicht zu eigen gemacht habe. - Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus. Die Redaktion zitiert die beiden Zeuginnen falsch und verstößt damit gegen die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex. Wie sich aus den Angaben der Frauen und der Gerichtsmitteilung ergibt, haben die beiden nicht behauptet, dass ein Bagger das Gebäude zum größten Teil zerstört habe und dass der Baggerfahrer dabei im Auftrag der NLG oder der Gemeinde gehandelt haben solle. Insoweit wird den Beschwerdeführerinnen hier ein Falschzitat in den Mund gelegt. Gerichtsmitteilungen sind zwar eine privilegierte Quelle. Die behaupteten Aussagen gingen daraus aber gar nicht hervor. Angesichts der im Artikel zitierten massiven Vorwürfe einer (strafbaren) „bewussten Falschaussage“ hätte die Redaktion die Frauen außerdem zwingend anhören müssen. Dies gilt umso mehr, weil die Gerichtsmitteilung nahelegt, dass die Zeugenaussagen tatsächlich zutreffend waren. In der Pressemitteilung heißt es nämlich wörtlich: „Zwei Zeuginnen gaben an, dass nach ihrer Wahrnehmung die Ursache für den Giebeleinsturz durch einen Bagger gesetzt wurde. Daraufhin hat die NLG die Klage zurückgenommen.“ Dass die Zeitung diesen Umstand nicht erwähnt hat, stellt ebenfalls eine Sorgfaltspflichtverletzung dar. Zudem verletzt der Vorwurf einer strafbaren Handlung die Beschwerdeführerinnen in ihrer Ehre nach Ziffer 9 des Kodex. Dabei kann offenbleiben, ob hierfür eine Identifizierbarkeit erforderlich ist. Denn zumindest das nähere soziale Umfeld der beiden dürfte von ihrem Zeugen-Auftritt wissen.