Tatverdächtigen im „Fall Maddie“ vorverurteilt
Boulevardblatt zitiert undistanziert Belastungszeugen und zeigt Foto des Beschuldigten
Unter der Überschrift „Der wichtigste Zeuge“ berichtet eine Boulevardzeitung online in Text und Video über einen Zeugen im Fall der verschwundenen Maddie McCann. Er belastet einen namentlich genannten Tatverdächtigen, der auch mit einem unverpixelten Porträtfoto gezeigt wird. Die Redaktion fasst ihr Exklusivgespräch mit dem Zeugen so zusammen: Er habe die Polizei alarmiert, nachdem der Verdächtige ihm „aus Versehen“ die Entführung des Mädchens gestanden habe. - Der Beschwerdeführer kritisiert, dass die Redaktion immer wieder über die Ermittlungen im Fall Maddie McCann berichte und dabei einen Mann in Wort und Bild als Tatverdächtigen nenne. Er stehe zwar unter Verdacht, sei bislang aber weder angeklagt noch rechtskräftig verurteilt. Die Redaktion betreibe eine massive Vorverurteilung des Mannes. Mit den Aussagen des Interviewten, der selbst ein Krimineller sei, wolle sie nun offenbar die Schuld untermauern. - Die Zeitung entgegnet, es handele sich um einen langjährigen Vermisstenfall, der international großes Interesse und Anteilnahme in der Bevölkerung hervorgerufen habe. Die Berichterstattung darüber trage dazu bei, dringend benötigte Zeugenhinweise zu generieren, die die Ermittlungen voranbringen könnten. Im Übrigen verschicke der Tatverdächtige seit geraumer Zeit Pressemitteilungen mit vollem Namen, suche also selber aktiv die Öffentlichkeit. - Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus. An dem Vermisstenfall besteht zwar grundsätzlich ein besonderes öffentliches Interesse. Aber auch für den Hauptverdächtigen gelten die Grundsätze der Unschuldsvermutung und der Schutz der Persönlichkeit. Die Nennung seines Namens hält der Ausschuss für zulässig, da er selbst offen mit Pressemitteilungen auf die Öffentlichkeit zugeht. Die Abbildung des Mannes geht jedoch noch einen Schritt weiter und verletzt den Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 des Pressekodex. Er ist zwar Hauptverdächtigter, aber zum Zeitpunkt der Berichterstattung wurde noch keine Anklage gegen ihn erhoben. Ein öffentliches Interesse an einer identifizierbaren Abbildung sieht der Ausschuss nicht gegeben. Außerdem verstößt die Redaktion gegen die Unschuldsvermutung nach Ziffer 13. Denn sie veröffentlicht ausführlich belastende Aussagen, ohne diese zu relativieren oder in den Gesamtkontext einzuordnen.