Verdacht mit Diskriminierungspotential
Ein anonymer Autor setzt sich mit der Ehe für alle auseinander
„Wir verraten alles, was wir sind“ – so überschreibt eine überregionale Tageszeitung gedruckt und online einen Kommentar. Darin setzt sich ein anonymer Autor mit der Ehe für alle auseinander. Er kritisiert die Forderung von Schwulen und Lesben nach Gleichstellung, verbunden mit der Möglichkeit, Kinder zu adoptieren. Eine Passage aus dem Meinungsbeitrag: „Und ist es wirklich so abwegig, was manche Gegner der Homo-Ehe behaupten, dass adoptierte Kinder ungleich stärker der Gefahr sexuellen Missbrauchs ausgeliefert sind, weil die Inzest-Hemmung wegfällt und diese Gefahr bei homosexuellen Paaren besonders hoch sei, weil die sexuelle Outsider-Rolle eine habituelle Freizügigkeit erotischer Binnenverhältnisse ohne alle sexual-ethischen Normen ausgebildet habe?“ Weiter heißt es in dem Kommentar: „Um eure verinnerlichten Komplexe nicht reproduktiver Sexualität mit ´Familien-Spielen´ zu kompensieren?“ (….) „Und dazu wollt ihr unschuldiges Kindesleben missbrauchen?“ 31 Leser beschweren sich über den Beitrag. Ihre Kernaussagen sind diese: „Die Behauptung, bei homosexuellen Paaren sei die Schwelle für sexuellen Missbrauch an Kindern nicht gegeben, sei diffamierend. Die Aussage entbehre jeglicher Logik und Begründung. Es sei ein willkürlicher Zusammenhang. Pädophile und Homosexualität in Zusammenhang zu bringen, sei weder wissenschaftlich noch moralisch zu vertreten. Die Aussage sei diskriminierend. Der Autor verstecke sich dabei hinter einer rhetorischen Fragestellung. Der Artikel – so mehrere Beschwerdeführer - enthalte beleidigende Aussagen gegen Homosexuelle insgesamt und verstoße gegen das Gleichbehandlungsgesetz. Dass der Verfasser des Beitrages offenkundig selbst homosexuell sei, ändere nichts daran, dass die Argumentation beleidigend sei. Die Redaktion – so einige der Beschwerdeführer – sei für den Inhalt des Gastbeitrages verantwortlich. Der Geschäftsführer und der Justitiar der Zeitung stellen fest, dass der Artikel keine Tatsachen enthalte. Somit könne es sich auch nicht um falsche Tatsache handeln. Gerade Kommentare konfrontierten Leser auch mit gegenläufigen Meinungen. Auch dem verantwortlichen Redakteur sei bewusst gewesen, dass der Artikel brisante Themen behandle und zu Diskussionen führen könne. Wenn der Presserat aber den Argumenten der Beschwerdeführer folgen würde, könnten Zeitungen keine Artikel mehr zu polarisierenden Themen veröffentlichen, ohne dass sie eine Rüge fürchten müssten. So könne die Presse eine ihrer grundlegendsten Aufgaben, nämlich den öffentlichen Diskurs anzuregen und eine öffentliche Auseinandersetzung – auch mit kontrovers beurteilten Themen – zu fördern, nicht mehr nachkommen.