Auch Fragen können Persönlichkeitsrechte verletzen
Nach ungeklärtem Todesfall fragt Zeitung, ob Drogengeschäfte eine Rolle spielten
Eine Boulevardzeitung berichtet über einen jungen Mann, der in einer Kleinstadt vor seinem Haus von Anwohnern gefunden wurde und wenig später im Krankenhaus verstarb. Die Polizei stehe vor einem Rätsel, schließe aber einen Verkehrsunfall sowie direkte Gewalteinwirkung durch Dritte aus; „ein Sturzgeschehen ist wahrscheinlich“. Die Zeitung stellt dazu Fragen: „Doch wie stürzte er? Mit dem Fahrrad, das gefunden wurde? Oder ist er aus dem Fenster gestürzt? Ist deshalb der Rollladen am Haus halb abgerissen? Und wieso fällt man einfach aus dem Fenster? Haben eventuell Drogengeschäfte etwas damit zu tun? Musste [Vorname und abgekürzter Nachname] fliehen?“ Ein Anwohner habe der Zeitung berichtet, dass die Mutter des Toten ihm das Haus besorgt habe, „weil sie gehofft hatte, dass er hier von den Drogen loskommt“. Der Artikel enthält noch weitere persönliche Details, zum Beispiel, dass er adoptiert gewesen sei und in einer anderen (namentlich genannten) Stadt aufgewachsen sei. Zu dem Beitrag gehören auch Fotos vom Haus und der Straße sowie ein großes, stark verpixeltes Bild des Mannes, auf dem er mit einer Pillenkapsel in der Hand zu sehen ist. - Der Beschwerdeführer kritisiert, dass die Redaktion gegen mehrere Ziffern des Pressekodex verstoßen habe. Sie habe den Persönlichkeitsschutz verletzt, denn aus der Summe der persönlichen Angaben und Abbildungen könnten Ortskundige den Verstorbenen identifizieren. Mit der Frage nach Drogengeschäften habe sie seine Ehre und die Unschuldsvermutung verletzt. Außerdem hätte sich die Redaktion bei ihren Schilderungen zurückhalten müssen, weil der Mann vielleicht drogenkrank gewesen sei und ein Suizid nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne. Insgesamt handele es sich um eine unangemessen sensationelle Darstellung. - Die Zeitung weist alle Vorwürfe zurück. Ein Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz liege nicht vor, denn zum einen sei der Nachname des Opfers abgekürzt und sein Foto bis zur Unkenntlichkeit verpixelt worden, und zum anderen sei die Nachricht vom Tod des Mannes in dem kleinen Ort schon allgemein bekannt gewesen. Es sei keinesfalls Schutzzweck des Pressekodex, bereits bekannte Informationen „quasi zu unterdrücken“; dies liefe sonst auf eine erhebliche, vorzensurähnliche Einschränkung der Pressefreiheit hinaus. Auch eine Ehrverletzung oder Kriminalisierung liege nicht vor. Mit der Frage „Haben eventuell Drogengeschäfte etwas damit zu tun?“ werde nicht die Behauptung einer Straftat aufgestellt. Im Übrigen habe der junge Mann selber das Foto mit der Drogenkapsel in der Hand in einem Social-Media-Kanal gepostet. Auch die Richtlinien zur Zurückhaltung bei Erkrankungen und Selbsttötungen seien nicht verletzt worden. Denn es gebe keinerlei objektive Anhaltspunkte dafür, dass hier überhaupt eine psychische Erkrankung oder ein Suizid vorgelegen hätten. Auch sei die Berichterstattung nicht unangemessen sensationell. Sie erwähne nur die Fakten und frage, was angesichts dieser Sachlage vorgefallen sein könnte. - Der Beschwerdeausschuss erklärt die Beschwerde für teilweise begründet und spricht eine öffentliche Rüge aus. Der Verstorbene ist zumindest für ein lokales Umfeld identifizierbar. Durch die im Artikel gestellten Fragen wird der Leserschaft suggeriert, der junge Mann sei in illegale Drogengeschäfte verwickelt gewesen, die zu dem Todessturz geführt hätten. Hierfür liegen jedoch keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen vor. Zudem berichtet die Redaktion über zahlreiche weitere persönliche Details, die in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Fall stehen (zum Beispiel die Adoption). Insoweit überwiegen die schutzwürdigen Interessen des Opfers das Informationsinteresse der Öffentlichkeit; deshalb liegt hier ein Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 des Pressekodex vor. Außerdem hat die Redaktion gegen Ziffer 9 verstoßen, denn die Behauptung, dass eventuell Drogengeschäfte etwas mit dem Sturz zu tun hätten, und die damit einhergehende Suggestion, das Opfer sei in illegale Drogengeschäfte verwickelt, sind geeignet, den Mann in seiner Ehre zu verletzen. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet: Die Ausschussmitglieder können keine unangemessene Darstellung von Gewalt, Brutalität und/oder Leid erkennen.