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Zeugen Jehovas nicht diskriminiert

Eine Tageszeitung veröffentlicht einen Leserbrief zu einem geplanten Mahnmal für die vom NS-Regime verfolgten Zeugen Jehovas. Darin heißt es, die Zeugen Jehovas seien nicht aus eigener Überzeugung Gegner und damit Verfolgte geworden. „Sie wurden vielmehr das Opfer zweier Diktatoren. Einmal Opfer des Hitler-Regimes und zum anderen Opfer ihres absolutistisch herrschenden amerikanischen Sektenführers Joseph Franklin Rutherford, der die Sekte von 1917 bis 1942 autoritär leitete. Dieser hatte 1934 in einem Anfall von Größenwahn 1934 Hitler einen Brief geschrieben und gedroht, dass sein Reich von Jehova vernichtet werde, wenn er die Zeugen Jehovas weiter verfolge. Die Antwort Hitlers: zunehmende Inhaftierung von Sektenmitgliedern in KZs […]. Hier waren sie allerdings von den SS-Bewachern begehrte Arbeitskräfte wegen ihrer Pflichterfüllung, Arbeitsamkeit und strenger Befolgung aller Befehle. (Quelle: M. Buber-Neumann: ‚Als Gefangene unter Stalin und Hitler‘). Buber-Neumann war Blockälteste im Bibelforscherblock Ravensburg.“ Die Zeugen Jehovas in Deutschland beschweren sich wegen Verstößen gegen die Pressekodex-Ziffern 2 (Sorgfalt), 9 (Schutz der Ehre) und 12 (Diskriminierungen). In der Vorprüfung des Falles beschränkt der Presserat das Verfahren auf die Ziffern 2 und 12. Hierzu heißt es in der Beschwerde, dass auch Leserbriefe der Sorgfaltspflicht des Publizierenden unterlägen. Der Leserbrief enthalte mehrere Tatsachenbehauptungen, die den historischen Fakten nicht entsprächen. Überlebende und Sachverständige hätten bestätigt, dass die Zeugen Jehovas geschlossen und aus religiöser Überzeugung Widerstand geleistet hätten. Das Widersetzen einer ganzen Grupp Zeugen Jehovas nicht diskriminiert -e von Menschen reduziere der Leserbriefautor auf „einen Anfall von Größenwahn“ eines Einzelnen. In der Tat habe Rutherford in einem Brief an Hitler die Beendigung der Verfolgung gefordert. Nach Ablauf eines Ultimatums hätten zehntausende Zeugen Jehovas weltweit Protestschreiben und Telegramme an Hitler geschickt. Ein Historiker habe dies als „Akt kollektiver und kompromissloser Selbstbehauptung“ bezeichnet. Es stimme auch nicht, dass die Zeugen Jehovas in den Lagern alle Befehle befolgt hätten. Sie hätten zum Beispiel alle Arbeiten abgelehnt, die mit der Rüstungsindustrie zu tun hatten, und sie hätten jüdische und andere Mithäftlinge unterstützt. Nach Aussage einer Historikerin hätten sie durch das permanente Infragestellen der SS-Macht deren besonderen Hass und Wut herausgefordert. Die Falschdarstellungen im Leserbrief seien (bewusst) diffamierend und befeuerten die Diskriminierung einer ganzen Opfergruppe. Die persönliche Gewissensentscheidung eines jeden Zeugen Jehovas, sich dem Hitler-Regime zu widersetzen, werde dem Individuum abgesprochen. Vielmehr beschreibe der Briefautor eine manipulierte Masse, als „Opfer“ ihres größenwahnsinnigen „Sektenführers“. Das sei stark ehrverletzend, vor allem für die mehr als 11.000 in den Gefängnissen und KZs inhaftierten Zeugen Jehovas, von denen mindestens 1.600 ermordet worden seien. Die Zeitung entgegnet unter anderem: Wenn die Zeugen Jehovas laut Gutachtern als einzige religiöse Gemeinschaft geschlossen Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet hätten, dann sei dies eher ein Indiz dafür, dass nicht jedes Mitglied aus eigener Überzeugung, sondern die gesamte Gemeinschaft auf Veranlassung ihres autoritären Führers gehandelt habe.