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Gemordet, weil das Kind „quengelte“

Boulevardzeitung verstößt gegen das Prinzip des Opfer-Schutzes

„Das ist der Kinder-Mörder!“ titelt eine Boulevardzeitung. Im Bericht geht es um den Mord an zwei vier und sechs Jahre alten Jungen. Weiter heißt es auf der Titelseite, Silvio S. (32) habe die abscheulichen Taten gestanden. Er habe den vierjährigen Flüchtlingsjungen Mohammed erdrosselt, weil der „quengelte“, und den sechsjährigen Jungen Elisas ermordet und im Garten vergraben. Der mutmaßliche Täter und die Opfer werden mit Porträtfotos gezeigt. Ein Leser der Zeitung kritisiert, dass der mutmaßliche Täter kurz nach seiner Verhaftung von der Zeitung als „Kinder-Mörder“ bezeichnet worden sei. Sie zeige ihn im Bild und verweise auch auf seinen Wohnort. So schrecklich die Taten seien, so hätten Menschen doch Persönlichkeitsrechte. Die Tatsachenbehauptung „Kinder-Mörder“ greife rechtsstaatlichen Mitteln der Justiz vor. Schließlich habe nur diese das Recht festzustellen, welche Schuld ein Mensch auf sich geladen habe. In der Vorprüfung erweitert der Presserat die Beschwerde auf die Darstellung der Zeitung, soweit es um die Opfer geht. Die Rechtsvertretung des Verlages weist die Beschwerde in allen Punkten als unbegründet zurück. Im kritisierten Artikel werde die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß informiert. Der Täter habe zwei Kinder ermordet. Diese Feststellung sei wahr, und das müsse die Presse beim Namen nennen dürfen. Es sei schlicht falsch, von einem „mutmaßlichen Täter“ zu sprechen, da dieser zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits ein umfassendes Geständnis abgelegt habe. Im Übrigen thematisiere die Zeitung einen der bedeutendsten Kriminalfälle der letzten Jahre, der Gegenstand einer sich über Monate hinziehenden „medialen Fahndung“ gewesen sei. Das berichtete Geschehen sei von überragendem öffentlichem Interesse, das insbesondere an der Veröffentlichung des Fotos des Straftäters bestehe. In der Sache gelte der Täter aufgrund seines Geständnisses als überführt. In der Abwägung zwischen der grundgesetzlich garantierten Informationsfreiheit und dem Anonymitätsinteresse des Täters müsse in einem solchen Fall letzteres zurückstehen. Die Zeitung steht auch auf dem Standpunkt, dass es presseethisch zulässig gewesen sei, die Opfer im Bild zu zeigen. Es handele sich um Fotos, die monatelang in den Medien präsent gewesen seien, um die Fahndung nach dem Täter zu voranzutreiben. Die Veröffentlichung derartiger Fotos auch nach Abschluss der Fahndung könne presseethisch nicht unzulässig sein.