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„Weselsky streikt nicht mehr für die Lokführer“

Vorgänger Schell: Gewerkschaftsboss stellt seinen Egoismus über alles

„Jetzt spricht Weselskys Ex-Frau: Zu Hause war er ein Diktator“ – so berichtet die Online-Ausgabe eines Nachrichtenmagazins über ein Interview, das eine Regionalzeitung mit der Ex-Frau des Vorsitzenden der Gewerkschaft GDL geführt hat. Einige Zitate: „Claus Weselsky streikt schon lange nicht mehr für seine Lokführer. Er streikt nur noch für sich selbst, missbraucht das Streikrecht für sich selbst aus purem Egoismus.“ Als Grund dafür gibt die Frau an: „Er ist machtversessen, wird nicht aufhören, bis er auch die Schwestergewerkschaft EVG beherrscht.“ Über die gemeinsame Beziehungen sagt sie: „Er entwickelte sich zum Diktator, betrachtete alles von oben herab. Plötzlich durfte ich auch keinen Wein mehr unter 25 Euro kaufen. Das gehöre sich nicht in seinen Kreisen, sagte er arrogant.“ Mehrere Leser sehen in der Berichterstattung Verstöße gegen presseethische Grundsätze. Es sei sachfremd und ehrenrührig, aus dem intimen Bereich des Gewerkschaftsvorsitzenden zu berichten, ohne dass dafür ein öffentliches Interesse bestünde. Die persönlichen Lebensverhältnisse von Claus Weselsky seien für die Tarifverhandlungen und den Lokführer-Streik unerheblich und nicht von öffentlichem Interesse. Die Beschwerdeführer halten es für unzulässig, beides zu verknüpfen. Im Gegensatz zu den Beschwerdeführern stellt der Chefredakteur ein öffentliches Interesse für den kritisierten Beitrag fest. Er könne hunderte von Artikeln vorlegen, in denen die Frage gestellt werde, wieviel „Weselsky“ in den Streiks stecke. Der Chefredakteur zitiert Weselskys Vorgänger Schell, der festgestellt habe, dass Weselsky seinen Egoismus über alles stelle. Der kritisierte Beitrag gebe aufschlussreiche Einblicke in die Persönlichkeitsstruktur des Vorsitzenden, ohne dessen Beziehungs- oder gar Intimleben zu berühren. Der Chefredakteur hält es für ausgeschlossen, dass die Presseethik tangiert sein könnte, wenn durch Befragung des Umfelds eines Politikers, Wirtschaft- oder Gewerkschaftsführers versucht werde, dessen Persönlichkeit besser zu verstehen. Das zu recherchieren sei nicht anrüchig, sondern grundlegendes journalistisches Handwerk.