Stadtkämmerin fällt monatelang aus
Die identifizierende Berichterstattung ist in diesem Fall zulässig
Eine Bezirksausgabe einer Regionalzeitung berichtet, dass die am Ort tätige Stadtkämmerin seit Monaten krank sei. Beobachtern der Stadtpolitik könne aufgefallen sein, dass die Kämmerin schon seit langem in Ausschüssen und Stadtratssitzungen fehle. Die Redaktion fragt beim Oberbürgermeister nach. Der bestätigt den krankheitsbedingten Ausfall der Frau, könne und wolle sich aber zu den Gründen nicht äußern. Im Bericht heißt es weiter, das Liegenschaftsamt samt dem Bereich Wirtschaftsförderung sei von der Stadtkämmerei zum Stadtplanungsreferat umgesiedelt worden. Der Artikel enthält auch ein Porträtfoto der kranken Stadtkämmerin. Ein anonymer Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass die Berichterstattung gegen Ziffer 8, Richtlinie 8.6, des Pressekodex (Schutz der Persönlichkeit/Erkrankungen) verstößt. Die Kämmerin sei eine normale „Laufbahn-Beamtin“ und keine kommunale Wahlbeamtin. Sie sei keine Person des öffentlichen Lebens. Auch den im Artikel hergestellten engen Zusammenhang zwischen dem Krankenstand und der Umstrukturierung in der Kämmerei halte er für ehrenrührig. Der für die Lokalausgaben der Zeitung zuständige Chefredakteur nimmt zu der Beschwerde Stellung. Die Stadtkämmerin sei eine Spitzenbeamtin in der knapp 50.000 Einwohner zählenden Stadt. Ihr berufliches Wirken sei laufend Gegenstand der Lokalberichterstattung. Sie habe eine herausragende Position in der Verwaltung. Ihr monatelanges Fehlen sei für die Funktionsfähigkeit der Verwaltung ein ernstes organisatorisches Problem. Der Chefredakteur ist der Auffassung, dass die Berichterstattung vor diesem Hintergrund zulässig ist. Die Öffentlichkeit habe ein berechtigtes Interesse zu erfahren, wenn eine Spitzenbeamtin mit Führungsaufgaben und der Verantwortung für den gesamten Finanzbereich über Monate hinweg ausfalle und damit organisatorische Herausforderungen und Probleme verbunden seien. Das Informationsinteresse erstrecke sich ausnahmsweise auch auf den Grund des Fehlens. Denn nur so werde deutlich, dass weder der Stadtkämmerin noch der Stadtverwaltung angesichts der misslichen Lage ein Vorwurf zu machen sei.