Suizid nach einem Ultimatum?
Chefredakteur: Die gebotene Zurückhaltung bei Selbsttötung ist gewahrt worden
Eine Großstadtzeitung berichtet gedruckt und online über den Tod eines Obdachlosen. Dieser hatte auf dem Gelände einer Katholischen Hochschulgemeinde gelebt. Der neue Leiter dieser Einrichtung habe dem Mann kurz zuvor ein Ultimatum gestellt, das Gelände zu verlassen. Mitarbeiter vermuten, dass dies der Grund für den Mann war, sich das Leben zu nehmen. Ein Leser der Zeitung kritisiert einen ethischen Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz sowohl des Verstorbenen als auch des namentlich genannten Leiters der Hochschulgemeinde. Der Verstorbene sei keine Person des öffentlichen Interesses gewesen, was eine Suizid-Berichterstattung rechtfertigen würde. Der Leiter werde zudem persönlich für den Tod eines Menschen gemacht und an den Pranger gestellt. Der Beschwerdeführer verweist auf Richtlinie 8.7 des Pressekodex sowie auf Richtlinie 13.1, da in diesem Fall ein namentlich Genannter moralisch vorverurteilt werde. Der Chefredakteur der Zeitung nimmt zu der Beschwerde Stellung und übermittelt auch die Haltung des Autors. Die presseethisch vorgegebene Zurückhaltung über die Selbsttötung sei gewahrt worden. Kernaussage des Autors: „Mir waren durch die Recherchen und Gespräche mit Augenzeugen die Umstände des Suizids im Detail bekannt. Ich habe in der Darstellung bewusst auf sämtliche Beschreibungen und Einzelheiten verzichtet. Wir haben außerdem weder Fotos aus dem Innenraum gebracht, etwa vom Fundort der Leiche, noch Fotos des Verstorbenen zu Lebzeiten oder Bilder aus der Privatsphäre des Verstorbenen.“ Den Vorwurf der Vorverurteilung durch die Berichterstattung weist die Redaktion zurück. Vielmehr hätten der Tod des Mannes und die Todesumstände auf dem Gelände in der Region für Aufsehen gesorgt. Wie die am Abend abgehaltene Mahnwache gezeigt habe, seien auch hier die Umstände – für jedermann hörbar und sichtbar – thematisiert worden.