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Autor: „Wir sind bestürzt und entsetzt“

Koran-Zitate spielen im Leserbrief eine herausragende Rolle

Eine Großstadtzeitung veröffentlicht einen Leserbrief des Vorsitzenden der muslimischen Gemeinschaft „Ahmadiyya Muslim Jamaat KdöR“ zum Terroranschlag in Wien. Die Überschrift lautet: „Wir sind bestürzt und entsetzt“. Der Autor fragt, warum man sich von etwas distanzieren solle, das von Grund auf für Muslime verboten sei? Er zitiert den Koran: „Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet“ (Koran 5:32). Weiter im Zitat: „Stiftet kein Unheil auf Erden“ (Koran 2:12). Ein Leser der Zeitung ist Beschwerdeführer in diesem Fall. Der Leserbrief -Autor habe mit dem Koranzitat die Absicht verbunden, klarzustellen, dass der Koran den Muslimen das Töten verbiete, und dass man sich demzufolge nicht vom Koran oder dem muslimischen Glauben distanzieren müsse. Zu diesem Zweck habe er das Koranzitat verkürzt. Er habe nämlich die Worte „der keinen anderen getötet, auch sonst kein Unheil auf Erden gestiftet hat“ weggelassen. Allein schon diese Einschränkung wegzulassen, so der Beschwerdeführer, sei schon schlimm genug. Es handele sich also nur um ein bedingtes Nicht-Tötungsgebot. Die Rechtsvertretung des Verlages betont, dass es sich bei dem abgedruckten Leserbrief offensichtlich und eindeutig um die Meinung des Autors handele. Von ihr distanziere sich die Redaktion ausdrücklich. Die Zeitung verstehe es als Teil ihrer Aufgaben, den öffentlichen Diskurs abzubilden und den unterschiedlichsten Meinungen Raum zu geben. So wolle sie zu einer unvoreingenommenen Meinungsbildung beitragen. Die Rechtsvertretung argumentiert weiter, nachdem eine abschließende Interpretation nicht möglich sei, verbiete es dieser Umstand, die Deutung des Leserbriefverfassers zu berichtigen. Ein solcher Eingriff in die möglichen Interpretationen des Korans würde die Meinungsfreiheit des Einsenders unzulässig beeinträchtigen. Die Redaktion sehe sich nicht in der Lage, zu beurteilen, wer nun Recht hat und wessen Interpretation zu folgen ist.