Junge Frau und ihre Familie bloßgestellt
Zeitung verletzt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Eine Großstadtzeitung berichtet online unter den Überschriften „Esther S. (18) soll im Bad ihr Baby geboren und erstickt haben“ bzw. „Hinter dieser Tür tötete eine 18-Jährige ihr Neugeborenes“ über ein Ermittlungsverfahren wegen Totschlags. Im Artikel heißt es: „Im Tatverdacht steht die Gymnasiastin Ester S., die mit ihren Eltern in einem Jugendstilhaus (erbaut 1908) im gutbürgerlichen (…) lebt.“ Die Zeitung nennt einen Stadtteil einer deutschen Großstadt. Laut Staatsanwaltschaft hätten die Eltern von Schwangerschaft und Geburt offenbar nichts mitbekommen. Die junge Frau sei – so die Zeitung – mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht worden, wo man festgestellt habe, dass die eingelieferte Patientin offenbar vor kurzem ein Baby zur Welt gebracht habe. Die alarmierte Feuerwehr habe dann den toten Säugling gefunden. Dieser sei voll ausgebildet und lebensfähig gewesen und nach seiner Geburt von der jungen Mutter erstickt worden. Die Redaktion nennt den Vornamen und abgekürzten Nachnamen der jungen Frau sowie ihr Alter. Der Bericht enthält auch den Namen der Schule, die sie besucht, und die Information, dass sie bis vor einem halben Jahr zum Schüleraustausch in den USA gewesen sei. Schließlich teilt die Zeitung mit, dass die Mutter der 18-Jährigen Mode-Dozentin sei und der Vater als Verlagsmanager arbeite. Mehrere Fotos sind dem Artikel beigestellt. Sie zeigen unter anderem die Hausfassade, die Haustür und die Tür der Wohnung, in der die Familie wohnt. Eine Leserin der Zeitung bemängelt die Nennung von so vielen Details, so dass die Familie leicht zu identifizieren sei. Die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen würden missachtet. Es gebe kein öffentliches Interesse, dass etwa Fotos der Haus- und Wohnungstür gezeigt oder die Berufe der Eltern genannt würden. Auch die Unschuldsvermutung werde missachtet. Die Art der Berichterstattung sei sensationslüstern und existenzvernichtend, nicht nur für die Tatverdächtige, sondern auch für die ganze Familie. Die Rechtsvertretung der Zeitung teilt mit, die von der Redaktion vorgenommene, sorgsame Abwägung zwischen den Interessen der Betroffenen und dem öffentlichen Informationsinteresse sei zugunsten des Berichterstattungs- und Informationsinteresses der Leser ausgegangen. Sie hält die Berichterstattung für zulässig. Die Rechtsvertretung: Eine lokale Berichterstattung presseethisch zu sanktionieren, stelle eine unzulässige Verengung und Begrenzung und damit einen schwerwiegenden Eingriff in die Freiheit der Berichterstattung dar. Die Beschwerdeführerin wohne im gleichen Stadtteil wie die betroffene Familie. Da sei es kein Wunder, dass sie anhand der genannten Details die Familie identifizieren könne. Dies sei für Menschen, die in anderen Teilen der Stadt lebten, unmöglich.