Leserbrief
Kommunalpolitiker beklagt Zitate aus einem nicht veröffentlichten Leserbrief
Unter der Überschrift „Gemeinderat ... als Ghostwriter“ kommentiert eine Lokalzeitung einen Leserbrief, der unverkennbar die Handschrift eines Mitgliedes des Gemeinderats zeigt, aber die Unterschrift seiner Schwester trägt. Thema des Briefes ist ein Baugebiet an einer bestimmten Straße des Ortes, an dem der Lokalpolitiker nach Ansicht der Zeitung ein besonderes Interesse zu haben scheint, weil er einer beteiligten Erbengemeinschaft angehört. In dem Kommentar wird auf ein Gespräch mit dem Betroffenen Bezug genommen. Der Kommunalpolitiker beschwert sich beim Deutschen Presserat. Die Redaktion habe ihn gegen Abend angerufen und ihm mitgeteilt, dass der Leserbrief nicht veröffentlicht werde. Er sei damit einverstanden gewesen: „Für mich/uns galt der Leserbrief als zurückgezogen.“ Dass dennoch unter Bezugnahme auf den Inhalt des Leserbriefes am folgenden Tag berichtet worden sei, halte er für einen Vertrauensbruch und einen Verstoß gegen das Urheberrecht. Die Chefredaktion der Zeitung gesteht ein, dass sie den Leserbrief in wesentlichen Passagen zitiert habe. Im Telefonat mit dem Beschwerdeführer habe der zuständige Redakteur nur abgelehnt, den Leserbrief in seiner vollständigen Fassung noch vor der Kommunalwahl zu veröffentlichen. Eine Berichterstattung über den zu Grunde liegenden Vorgang habe er genau so wenig ausgeschlossen wie eine Veröffentlichung des Briefes in den Tagen nach der Kommunalwahl. Auf letzteres sei dann allerdings verzichtet worden. Die Tatsache, dass ein gewählter Gemeinderat sich hinter eine Erbengemeinschaft und hinter seiner Schwester verstecke, um öffentlich für ein Baugebiet zu plädieren, von dem er selbst einen beträchtlichen Vermögensgewinn hätte, sei der Redaktion als so gravierend erschienen, dass sie eine kommentierende Veröffentlichung des Sachverhaltes vor der Kommunalwahl für angemessen gehalten habe. (1999)