Bürgerumfrage
Ein Bürgerverein veranstaltet eine Umfrage zum öffentlichen Personennahverkehr. Die örtliche Zeitung berichtet darüber unter der Überschrift „Fragespiel in eigener Sache“. Einem Professor der Sozialwissenschaften würde es den kalten Schweiß auf die Stirn treiben, was sich der Bürgerverein als Umfrage zurechtgezimmert habe, meint sie. So habe man den Satz „Bei einem verbesserten Angebot des ÖPNV würde ich mein Auto öfter stehen lassen“ mit zwei Ankreuzkästchen versehen. Dies habe stolze 90 Prozent der Befragten zu einem Ja veranlasst, das so sicher auch noch ein Ferrari-Vorstand abgegeben hätte. In der Unterzeile zur Überschrift stellt die Zeitung fest, die Umfrage habe am Ende den eigenen Ideen des Bürgervereins total recht gegeben. Der Vorsitzende des Vereins schaltet den Deutschen Presserat ein. Er sieht in der Veröffentlichung in unzulässiger Art und Weise Nachricht und Kommentar vermischt. Die Mitglieder seines Vereins fühlten sich durch den Beitrag persönlich diffamiert. Auch die Chefredaktion des Blattes hält den Einstieg in den Artikel und die darin praktizierte Vermischung von Tatsachen und Meinung für nicht besonders glücklich. Der Beitrag habe jedoch nichts lächerlich gemacht oder gar Personen diffamiert, geschädigt oder ihre berufliche Reputation in Zweifel gezogen. Die Zeitung ist der Ansicht, dass eine Bürgerbefragung, deren Fragestellung so aufgebaut sei, dass eine positive Beantwortung durch nahezu jeden Befragten zu erwarten sei, eine redaktionelle Stellungnahme geradezu herausfordere. (1997)