Quellenangabe
Boulevardzeitung übernimmt Interview aus Lokalblatt
Der 31-jährige Sohn eines Oberbürgermeisters stirbt an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Drei Monate danach gibt der Vater drei Redakteuren einer Gratiszeitung ein Interview, in dem er in einer sehr persönlichen und offenen Weise schildert, wie er und seine Familie das schreckliche Geschehen zu verarbeiten versuchen. Tags darauf erscheinen in einer Boulevardzeitung Auszüge aus diesem Gespräch unter der Überschrift „Jetzt spricht er über den Tod seines Sohnes“. Im Vorspann heißt es, dass der Oberbürgermeister drei Journalisten ein Interview gegeben habe. Die drei Journalisten werden namentlich genannt. Einer von ihnen trägt den Fall dem Deutschen Presserat vor. Er kritisiert, dass seine Publikation in dem Vorspann des Artikels nicht als Quelle genannt wird. Außerdem seien er und seine Mitautoren nicht gefragt worden, ob sie mit der Veröffentlichung einverstanden seien. Die Rechtsabteilung des betroffenen Verlages erklärt, dass es aus rechtlicher Sicht zweifelhaft sei, ob eine Autorisierung notwendig gewesen sei. In der juristischen Literatur werde überwiegend die Meinung vertreten, dass in den Fällen, in denen das Interview inhaltlich ausschließlich von den Äußerungen des Befragten getragen werde, dieser als Urheber anzusehen sei. Eine solche Situation liege hier vor. Urheberschutz dürfe demnach allein dem interviewten Oberbürgermeister zustehen. Die Rechtsvertretung ist der Auffassung, dass das Interview in dieser Form wiedergegeben werden konnte, da die Veröffentlichung von § 49 Abs. 1 Urhebergesetz gedeckt sei. Danach seien die Vervielfältigung und Verbreitung vollständiger Artikel aus Zeitungen und anderen lediglich Tagesinteressen dienenden Informationsblättern dieser Art sowie die öffentliche Wiedergabe solcher Artikel zulässig, wenn sie politische, wirtschaftliche oder religiöse Tagesfragen betreffen und nicht mit einem Vorbehalt der Rechte versehen seien. Das Interview sei nicht mit einem Vorbehalt der Rechte versehen und stelle die erste öffentliche Stellungnahme des obersten repräsentativen Organs der Stadt zu einem Ereignis, nämlich dem Unfalltod seines Sohnes, dar. Die politische Seite sei bereits durch die Tatsache, dass es sich um den Oberbürgermeister handele, berührt. Zudem würden auch religiöse Fragestellungen angesprochen, da der Oberbürgermeister über seine Konsequenzen nach dem Tod seines Sohnes gesprochen habe. Keinesfalls werde in dem Beitrag der Eindruck erweckt, als sei das Interview im Auftrag der Boulevardzeitung geführt worden. In der Einleitung sei der Hinweis enthalten, dass die Zeitung das Gespräch in Auszügen „dokumentiere“. Dadurch werde klar, dass es sich nicht um ein eigenes Interview handele. Klar und deutlich seien auch die Namen der Interviewer genannt. Die Art und Weise, in der das Interview im eigenen Blatt veröffentlicht worden sei, insbesondere der Verzicht auf die Benennung der Zeitung, in welcher das Interview erstmals veröffentlicht worden sei, entspreche grundsätzlich nicht dem Stil des Hauses. Von einzelnen Mitarbeitern sei im konkreten Fall die namentliche Nennung der beteiligten Journalisten für ausreichend erachtet worden, da die betroffene Gratiszeitung ihr Erscheinen inzwischen eingestellt habe. So weit dadurch journalistische Standards missachtet worden sein sollten, bedauere man dies ausdrücklich. (2001)