Verdachtsberichterstattung
Lehrer soll der Drahtzieher eines Überfalls auf Kollegen gewesen sein
Eine Lokalzeitung berichtet ausführlich über den Überfall zweier Jugendlicher auf den früheren Direktor eines Gymnasiums. Die beiden Schüler hätten den beliebten Pädagogen mit Baseballschlägern niedergeknüppelt. Sie seien geständig. Die Zeitung verweist auf Informationen, nach denen ein ehemaliges Mitglied des Lehrerkollegiums Drahtzieher des Anschlags gewesen sein soll. Der 52-jährige Studienrat und Biologe solle die beiden Jungen, von denen einer sein Pflegesohn sei, zum Tatort gebracht und während des Überfalls auf beide gewartet haben. „War es Rache für die abgelehnte Beförderung?“ fragt das Blatt in seiner Schlagzeile. Der betroffene Lehrer wird mit Vornamen und Initial des Familiennamens genannt. Er wird im Foto gezeigt. Die Augenpartie ist abgedeckt. Einem Arzt missfällt die seiner Ansicht nach mangelhafte Anonymisierung und die hier praktizierte Vorverurteilung. Er wendet sich an den Deutschen Presserat. Die Chefredaktion der Zeitung beruft sich darauf, dass der Vorgang Stadtgespräch war. Eine Vorverurteilung könne man in der Berichterstattung nicht erkennen, da lediglich der Stand der Ermittlungen wiedergegeben werde. In einem solchen Zusammenhang sei es durchaus üblich, den abgekürzten Nachnamen, Alter und Beruf des Beschuldigten zu veröffentlichen, zumal im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit des mutmaßlichen Anstifters in unmittelbarer Beziehung zu dem Angriff auf den ehemaligen Direktor des Gymnasiums stehe. (2001)