Bezeichnung „Irrenhaus“
Ein Fan eines Bundesligaclubs ärgert sich seit Wochen schon über die Zustände im Verein. Sein Versuch, in der Halbzeitpause als „bayrischer Krampus“ (Knecht Ruprecht) mit einem umfangreichen Gabensack und einem markigen Gedicht die noch etwas „lasche Truppe“ auf dem Spielfeld auf Vordermann zu bringen, scheitert an den Sicherheitsvorkehrungen im Stadion und an dem Unverständnis der Verantwortlichen. Als er schließlich noch einen Sitzstreik veranstaltet, wird er in ein psychiatrisches Krankenhaus gebracht. Eine Boulevardzeitung am Ort macht daraus eine große Geschichte in Wort und Bild. Dabei zitiert sie immer wieder aus einem Tagebuch, das der missverstandene Fußballfan während seines sechswöchigen Klinikaufenthaltes geschrieben hat. Das Krankenhaus bezeichnet sie insgesamt fünfmal als „Irrenhaus“. Ein Arzt beschwert sich darüber beim Deutschen Presserat. Der Beitrag verstoße gegen die Menschenwürde. Er enthalte zudem eine abwertende Bezeichnung für eine psychiatrische Klinik. Das sei eine Kränkung der Patienten und des Personals. Das Wort „Irrenhaus“ erinnere ihn an einen Propagandafilm der Nazis über Euthanasie. Die Chefredaktion des Blattes weist den Vorwurf, die Menschenwürde des Betroffenen werde hier verletzt, zurück. Der Fußballfan selbst habe die Veröffentlichung gewünscht und initiiert. Zudem sei er in der Stadt bekannt und gewissermaßen eine Person der Zeitgeschichte. In seinem Tagebuch habe er selbst die Bezeichnung „Irrenhaus“ gebraucht. Der Bericht mache dem Bezirkskrankenhaus keinerlei Vorwürfe. Der ganze Vorgang sei eine „verrückte Geschichte“, zu welcher der Begriff „Irrenhaus“ auch von der Diktion her passe. (1997)