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Darstellung von Gewalt

Auf ihrer Titelseite zeigt eine Boulevardzeitung das Foto eines toten Säuglings, der aus dem 9. Stock eines Hauses geworfen worden ist. Das Bild ist in eine Schlagzeile eingeklinkt: »Märchen, im Himmel hast du's besser«. In dem Text werden die Lebensumstände der Eltern des getöteten Babys geschildert. Ein Ehepaar sieht die Menschenwürde des Kindes zutiefst verletzt und beantragt beim Deutschen Presserat eine Rüge des Blattes, das das tragische Schicksal des Kindes kommerziell ausnutze. Die Zeitung wollte die erschütternde Grausamkeit eines Vaters dokumentieren, der sein Kind nach einem Ehestreit aus dem Fenster im 9. Stock geworfen hat. Als sich herausgestellt habe, dass das Kind in seinem kurzen Leben einem einzigen Martyrium ausgesetzt war, habe sich die Redaktion entschlossen, in einem weiteren Bericht das Kind noch einmal darzustellen und damit in Erinnerung zu rufen, welches schreckliche Schicksal Max dann endgültig ereilte. Als bekannt geworden sei, dass die Eitern mit der Beerdigung des Kindes nichts zu tun haben wollen und die Zeitung darüber berichtete, hätten sich viele Leser gemeldet, um die Beerdigungskosten zu übernehmen. (1994)