Mord, der kein Mord war
Unklare Faktenlage hätte nachrecherchiert werden müssen
Unter der Überschrift “Schwangerer die Kehle durchgeschnitten wg. 500 Mark” berichtet eine Tageszeitung über einen “ mysteriösen Mordfall”. Eine im achten Monat schwangere Frau sei mit durchschnittener Kehle unweit einer Ortschaft gefunden worden. Angeblich sei sie ausgeraubt worden. 500 Mark sollten fehlen. Die Polizei hülle sich in Schweigen. Der Ehemann der Frau legt Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. Die Zeitung habe unbestätigte Gerüchte als Tatsache dargestellt. Die Chefredaktion des Blattes beruft sich auf eine telefonische Nachrecherche bei der Polizei. Sie sei nämlich erst nach Redaktionsschluss durch Radiomeldungen auf den Vorfall aufmerksam geworden. Der Presserat recherchiert seinerseits, um den Sachverhalt zu klären. Die Staatsanwaltschaft erklärt, dass die rechtsmedizinischen Untersuchungen keine sichere Todesursache erbracht hätten. Unter Einbeziehung aller bekannten Umstände sei jedoch von einem natürlichen Tod in Folge einer schwangerschaftsspezifischen Erkrankung, verbunden mit einem hierdurch bedingten Krampfanfall, auszugehen. Die Kehle der Verstorbenen sei nicht durchschnitten worden. Festgestellt wurde lediglich eine oberflächliche Verletzung der Halshaut, vermutlich entstanden durch den scharfkantigen Anhänger einer Halskette, in welche die sterbende Frau hineingegriffen haben muss. Auch die zuständige Polizeidirektion bekundet, der Hinweis auf eine durchschnittene Kehle sei nicht Inhalt von polizeilichen Mitteilungen an die Medien gewesen. Der Pressesprecher erklärt, er habe gegenüber den Medien von einem Ereignis gesprochen, das in Zusammenhang mit einer etwa 35jährigen Vermissten zu sehen sei. Dabei habe er betont, dass die Todesursache noch unbekannt sei. Ein anderer Polizeibeamter verweist auf die Aussagen von Medienvertretern, dass sie ihre Informationen über die Todesursache von einem Bekannten bekommen hätten, der den Polizeifunk abgehört habe. Bei der Überprüfung des Funkverkehrs in der Einsatzleitstelle der Polizeidirektion sei festgestellt worden, dass in der Meldung die Rede von “Verletzungen äußere...” und “Kehle geschnitten...” gewesen sei. Vom Presserat angesprochen auf den Widerspruch zwischen der Aussage im Artikel (“Polizei hüllt sich in Schweigen”) und der Stellungnahme zur Beschwerde ( “Nachrecherche bei der Polizei!”) teilt die Chefredaktion der Zeitung mit, dass der grundlegende Sachverhalt telefonisch recherchiert worden sei. Wenn in dem Bericht vom Schweigen der Polizei die Rede gewesen sei, so beziehe sich diese Feststellung auf die weiteren, für den Leser interessanten Einzelheiten des Falles. Hierzu gehörten z.B. die Fragen nach Fremd- oder Eigenverschulden und nach Fahndungsmaßnahmen. Außerdem seien von der Polizei keine Angaben zu Alter und genauer Wohnanschrift des Opfers gemacht worden. Rückfragen des Presserats bei der örtlichen Polizeidienststelle ergeben, dass diese lediglich mit Vertretern zweier Lokalsender und einer Boulevardzeitung über den Vorfall gesprochen hat. Auch auf diesen Widerspruch angesprochen, erklärt die Chefredaktion, die Autorin der Meldung habe den Sachverhalt bei der Polizei im Wohnort des Opfers erfragt. Gleichzeitig erkennt sie in dem Auskunftsersuchen des Presserats eine Aufforderung zum Verstoß gegen die Ziffern 5 und 6 des Pressekodex, der die Beachtung der Vertraulichkeit vorgibt. (1997)