Namensnennung bei Sexualstraftat
Opfer einer Vergewaltigung zehn Jahre danach wieder erkennbar
Eine Tageszeitung berichtet in einem dreispaltigen Beitrag über den Beginn des Prozesses gegen einen mutmaßlichen zweimaligen Kindermörder. In dem Artikel wird erwähnt, dass der Angeklagte neun Jahre zuvor wegen Vergewaltigung seiner Schwester zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden ist. Vorname und Familienname des Mannes werden genannt. Die Zeitung erwähnt auch den Vornamen der Schwester. Die Hinweise auf die Vorstrafe des Angeklagten basieren auf entsprechenden Informationen einer Nachrichtenagentur. Eine Leserin der Zeitung trägt den Fall dem Deutschen Presserat vor. Zehn Jahre nach der demütigenden Tat müsse das Opfer eine bundesweit identifizierende Berichterstattung ertragen, die durch nichts gerechtfertigt sei. Die Chefredaktion der Zeitung erklärt, dass sie den Vornamen der Schwester der Agenturmeldung entnommen hat. Auch in anderen Zeitungen sei der Vorname genannt worden. Die Nennung des Vornamens der Schwester verletze deren Persönlichkeitsrechte nicht, da daraus keine Rückschlüsse auf den heutigen vollen Namen oder den Aufenthaltsort der Betroffenen gezogen werden könnten. Diese sei heute 28 Jahre alt und es könne durchaus sein, dass sie durch Heirat nicht mehr ihren früheren Familiennamen führe. Zudem werde sie vermutlich nicht mehr in ihrem Heimatort leben. Nach Ansicht der Chefredaktion verbindet der Leser deshalb mit der Namensnennung nicht eine konkrete Person, sondern sieht sie nur als eine Art Personalisierung des damaligen Opfers. Allein aufgrund des Vornamens sei die Schwester des Angeklagten nicht aufzufinden oder zu identifizieren, es sei denn von Personen, die sie sowieso schon kennen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Schwester im jetzigen Strafverfahren in öffentlicher Verhandlung als Zeugin aufgetreten sei. Die Zeitung hält die Beschwerde für unbegründet, gesteht jedoch ein, dass die Nennung des Vornamens besser unterblieben sei. Die Chefredaktion der Nachrichtenagentur bedauert den Vorfall, der sie zu einer erneuten allgemeinen Dienstanweisung veranlasst hat. Sie wisse jedoch nicht, wie die Angelegenheit in der Praxis öffentlich bereinigt werden könne. (1998)