Prangerwirkung
Kritische Berichte über Jugendheim mit Namen leitender Mitarbeiter
In mehreren Beiträgen befasst sich eine Lokalzeitung mit Vorwürfen gegen ein Heim für geistig behinderte Kinder. Danach sollen Kinder vernachlässigt, falsch behandelt oder misshandelt worden sein. Die Zeitung beruft sich bei ihrer Schilderung und Kommentierung auf eidesstattliche Versicherungen. Am Beispiel eines behinderten Jungen in einer Wohngruppe des Heims, der über mehrere Stunden unter einer Treppe gefesselt gewesen sein soll, erläutert sie die umstrittene Rechtslage in den Fällen, in denen minderjährige Betreute „fixiert“, also mittels mechanischer Vorrichtungen ruhig gestellt werden. In dem Bericht wird mehrere Male der Heimleiter zitiert, der zu den Vorwürfen Stellung nimmt. Dieser wendet sich nach der Veröffentlichung an den Deutschen Presserat und teilt mit, dass die geschilderten Vorwürfe nicht bewiesen und die Ermittlungen eingestellt worden seien. Die Begleitberichterstattung und die Kommentare zur Sache suggerierten dem Leser jedoch die Wahrhaftigkeit der Beschuldigungen. Dies selbst dann noch, als bereits über die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft berichtet worden sei. Der Heimleiter kritisiert darüber hinaus auch die Veröffentlichung von Namen der leitenden Mitarbeiter seines Hauses. Die Chefredaktion der Zeitung erklärt, die Veröffentlichungen hätten nicht in jedem Fall die Namen der leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Anschrift und Telefonnummer des Heims enthalten. Man habe vielmehr in den Beiträgen die leitenden Mitarbeiter nur dann namentlich erwähnt, wenn man sich ausdrücklich zu den Vorwürfen in ihrer Funktion als Mitarbeiter befragt habe. Die Beiträge seien die Resultate von ausgesprochen langwierigen Recherchen, die etwa neun Monate vor der ersten Veröffentlichung begonnen hätten. Um dem Gebot der journalistischen Fairness nachzukommen und nicht zu präjudizieren, habe man selbstverständlich in allen Beiträgen beiden Seiten Gelegenheit gegeben, ausführlich ihre Sicht der Dinge darzustellen. Die Informanten habe man durch einen Rechtsanwalt auf die möglichen Folgen einer richtigen, aber auch einer falschen eidesstattlichen Versicherung hinweisen lassen. Somit habe man ihnen Gelegenheit gegeben, ihre Darstellung zu überprüfen und gegebenenfalls zu modifizieren. Dies sei jedoch in keinem der Fälle geschehen. (2000)