Dokumente der Zeitgeschichte
Fotos verzweifelter Menschen machen Ausmaß eines Anschlages begreifbar
Die Berichterstattung verschiedener deutscher Zeitungen und Zeitschriften über den Terroranschlag am 11. September 2001 in New York löst fünf Beschwerden beim Deutschen Presserat aus. Die Kritik zweier Leser richtet sich gegen die Veröffentlichung von zum Teil großformatigen Fotos, die einen Mann, der sich aus einem oberen Stockwerk des World Trade Centers stürzt, oder Menschen zeigen, die verzweifelt an den Fenstern nach einem Ausweg aus den Flammen suchen. Ein Leser beschwert sich über zwei Tageszeitungen, in denen er das Foto des in die Tiefe stürzenden Menschen entdeckt hat. Er ist der Ansicht, dass das Bild keinerlei dokumentarischen Charakter besitze. Es diene nicht der Information der Leserinnen und Leser, sondern solle offenbar einen sensationsgierigen, menschenverachtenden Voyeurismus befriedigen. Des weiteren sieht er eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts, da eine Identifizierung nicht unmöglich sei. Eine Leserin richtet ihre Beschwerde über die Veröffentlichung der Fotos gegen drei Zeitschriften. Sie sieht kein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, das die Veröffentlichung der Fotos rechtfertigen würde, und stellt drei Fragen: Ist es denn nicht möglich – in Absprache mit weiteren großen Magazinen – auf solche Bilder zu verzichten? Müssen wir wirklich die Technik dazu missbrauchen, die Gesichter der Hoffnungslosen noch näher heranzuholen? Sind wir eine derart perverse und pietätlose Gesellschaft, dass wir uns dies ansehen müssen? Eine leere Doppelseite mit dem Hinweis „An dieser Stelle gedenken wir der Opfer“ hätte ihr mehr imponiert, stellt sie abschließend fest. Die Chefredaktion einer der beiden Tageszeitungen ist der Meinung, dass der Anschlag auf das World Trade Center allseits als neue Qualität terroristischer Anschläge gelte. Dies rechtfertige eine äußerst ausführliche Berichterstattung, auch mit Fotos. Es sei journalistische Pflicht, den unbekannten Dimensionen der Ereignisse auch durch die Form der Berichterstattung Rechnung zu tragen. Die Chefredaktion hält die Veröffentlichung eines solchen Fotodokuments für journalistisch vertretbar, da sich eine ganze Reihe ähnlicher Fälle in den Minuten nach dem Anschlag ereignet habe. Menschenverachtend sei der Abdruck des Bildes nicht, weil die festgehaltene Szene die gesamte Monstrosität der Anschläge darstelle. Das Bild habe sowohl dokumentarisch als auch nachrichtlich enormen Wert. Entgegen der Einschätzung des Beschwerdeführers hält es die Chefredaktion für unmöglich, die Person auf dem Bild als weiblich oder männlich zu unterscheiden, geschweige denn, sie namentlich zu identifizieren.