Gerichtsberichterstattung
Details aus der Intimsphäre eines missbrauchten Kindes geschildert
In zehn Folgen berichtet eine Lokalzeitung über den Verlauf eines Strafprozesses gegen einen 30-jährigen Mann, der seine fünfjährige Tochter sexuell missbraucht haben soll. Die Gerichtsreporter informieren ihre Leser ausführlich über die einzelnen Verfahrensschritte und erklären dabei auch die medizinischen und psychologischen Gutachten. So heißt es in einem Beitrag: “An einen ‚äußerst ungepflegten Körper‘ des Mädchens, von dem zwei Erzieherinnen während des vorherigen Verhandlungstages berichtet hatten, konnte sich die Zeugin gestern nicht erinnern.” In einem anderen Bericht wird ein Internist mit folgenden Worten zitiert: “Das Kind war häufig bei mir wegen Neurodermitis und wegen Erkältungen in Behandlung ... Dabei sind mir keine Anzeichen von Verletzungen, auch nicht im Bereich der Scheide, aufgefallen.” In einem dritten Text findet sich folgende Formulierungen: “Allerdings habe das Mädchen eine ‚klaffende Scheide‘ gehabt und das Hymen (Jungfernhäutchen) sei zerstört gewesen. Der Gerichtsmediziner kritisierte zunächst, dass die Gynäkologin die damals Fünfjährige nicht auf einem gynäkologischen Stuhl, sondern auf einer Liege untersucht hatte...” Eine Leserin der Zeitung sieht die Würde des Opfers, eines jetzt neunjährigen Mädchens, durch diese Berichterstattung verletzt. Sie erhebt Einspruch beim Deutschen Presserat. Die in den Artikeln enthaltenen Informationen etwa über die vaginalen Untersuchungsmethoden bzw. detailliert dargestellten Untersuchungsergebnisse dienten sicher nicht dem öffentlichen Interesse, sondern nur dem Voyeurismus. Die Redaktion der Zeitung hält die Beschwerde für unbegründet. Eine Berichterstattung über sexuellen Missbrauch von Kindern sei von öffentlichem Interesse. Durch ihre Veröffentlichungen seien Persönlichkeitsrechte von Unbeteiligten nicht verletzt worden. Sie habe die Vorgänge nicht unangemessen sensationell dargestellt, sondern gebräuchliche medizinische Begriffe benutzt und Äußerungen von Zeugen wahrheitsgemäß zitiert. Die Berichterstattung sei von den Verfassern im Sinne einer präzisen Dokumentation angelegt worden, die im übrigen mit der Information über die Verurteilung des Angeklagten zu sechseinhalb Jahren Haft geendet habe. Im einzelnen seien die in öffentlicher Verhandlung abgegebenen Äußerungen so konkret beschrieben worden, weil diese wesentliche Aspekte der Beweisaufnahme waren und im ursächlichen Zusammenhang mit der Urteilsfindung standen. Letztlich sei auszuschließen, dass das Opfer mit der Berichterstattung jemals konfrontiert werde. Das Kind lebte zur Zeit der Veröffentlichung und auch später außerhalb des Verbreitungsgebiets der Zeitung. (1998)