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Diskriminierung wiedergutgemacht

Albanern und Kosovaren Fähigkeit des Märchenerzählens unterstellt

Vor Gericht steht ein 24-jähriger Mann, der beschuldigt wird, eine 22-jährige Frau in der Wohnung eines Bekannten mit einem an den Hals gehaltenen Küchenmesser zum Beischlaf gezwungen zu haben. Die Lokalzeitung schildert die Aussage eines Zeugen, der das Paar in seinem Auto mitgenommen, in besagter Wohnung abgesetzt und nach zwei Stunden wieder abgeholt habe. Die beiden hätten den Eindruck eines Liebespaares gemacht. Die Frau sei „gut drauf gewesen“ und habe einen seltsamen strahlenden Glanz in den Augen gehabt. Der Zeuge im Brustton der Überzeugung: „Eine Frau, die gerade vergewaltigt worden ist, sieht anders aus.“ Knapp drei Wochen später habe die junge Frau der Polizei erzählt, sie sei an diesem bewussten Tage vergewaltigt worden. Die Zeitung erwähnt, dass der Angeklagte ein Albaner, das mutmaßliche Opfer eine Frau aus dem Kosovo ist. Da es sich bei der Mehrzahl der Zeugen in diesem Prozess um Albaner und Kosovaren handele, denen die Befähigung zum Märchen erzählen in die Wiege gelegt scheine, sei die Bandbreite zwischen Wahrnehmung und Wahrheit, zwischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit, zwischen Ehrlichkeit und Lüge schon ziemlich groß. Ein Leser der Zeitung schaltet den Deutschen Presserat ein. Er ist der Ansicht, dass die Überschrift „Zeuge: Glanz in den Augen nach der angeblichen Vergewaltigung“ und die Unterzeile „Bruder des Schwagers bemühte sich, ‚Täter‘ und ‚Opfer‘ als Liebespaar darzustellen“ ein genügendes Maß an Distanziertheit und vorurteilsfreier Berichterstattung vermissen lassen. Besonders die Begriffe „angebliche Vergewaltigung“ sowie „Opfer“ und „Täter“, die in Anführungszeichen gesetzt seien, stellten die Meinung des Autors dar und entbehrten jeglicher gerichtlicher Beurteilung. Die Behauptung, der Volksgruppe der Albaner und Kosovaren scheine die Befähigung zum Märchen erzählen in die Wiege gelegt zu sein, verstoße eklatant gegen das Diskriminierungsverbot. Dies bedeute, dass der Autor diesen Menschen ständiges Lügen unterstelle. Die Redaktionsleitung betont, der Autor des Beitrages habe seine subjektive Wahrnehmung des Prozesstages wiedergegeben. Dennoch habe die Redaktion einige Formulierungen ändern bzw. streichen müssen. Dadurch sei es zu einer missverständlichen und vorurteilsbehafteten Darstellung gekommen. Dies sei der Redaktion hinterher bewusst geworden. Deshalb habe sie auch umgehend einen Leserbrief des Beschwerdeführers veröffentlicht. Inzwischen habe man sich auch mit dem Beschwerdeführer über die Zusammenhänge des Falles unterhalten und dabei in der Beurteilung des Sachverhaltes Einvernehmen erzielt. (2000)