Kommentar
Auch unglücklich Formuliertes kann von Meinungsfreiheit gedeckt sein
Eine Lokalzeitung kommentiert die Versuche einer „verkehrten Welt“, an einen Schwerbehindertenausweis zu kommen. Um sein gutes Recht werde erbittert gekämpft. Je behinderter, um so besser. Das Papier vom Versorgungsamt habe sich zum Schutzschild vor sozialer Ausgrenzung und Wohlstandsverlust entwickelt. Auf behördliches „Nein“ folgten immer häufiger Widersprüche. Die immer noch kostenlos tätigen Sozialgerichte würden in Klagen ertrinken. Ein Leser beschwert sich beim Deutschen Presserat. Er ist der Ansicht, dass in dem Kommentar Schwerbehinderte pauschal als Abstauber, die in einer Art Punktewettbewerb nach einem möglichst hohen Grad der Behinderung jagen, diffamiert und in die Nähe von Sozialschmarotzern und Sozialbetrügern gerückt werden. Wer sich dem Verfahren zur Anerkennung als Schwerbehinderter unterzogen habe, wisse, dass es den Betroffenen außerordentlich schwer gemacht werde, als schwerbehindert anerkannt zu werden. Angebliche Betrüger, denen es gelungen sein sollte, ohne entsprechende nachgewiesene Behinderung als Schwerbehinderter anerkannt zu werden, kenne er nicht. Die Chefredaktion der Zeitung antwortet, der Beschwerdeführer habe wohl vergessen, den Artikel „Vorteil am Arbeitsplatz und im Geldbeutel“ mitzuschicken, auf den sich der Kommentar vom selben Tag beziehe. Aus diesem Beitrag gehe hervor, dass die in dem Kommentar vertretene Meinung durchaus ihre Berechtigung habe. Es gebe einen deutlichen Anstieg an Behindertenanträgen, der wohl kaum auf eine geänderte Gesundheitslage im Verbreitungsgebiet der Zeitung zurückzuführen sei. Dies festzustellen und zu bewerten, entspreche der journalistischen Tagesarbeit und verstoße nicht gegen die Regeln des Pressekodex. (2002)