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Gerichtsberichterstattung

Feststellung einer schweren Schuld vor Urteilsverkündung

Eine Tageszeitung berichtet über den Prozess gegen einen Mann, dem vorgeworfen wird, ein 12-jähriges Mädchen vergewaltigt und ermordet zu haben. Zwei Passagen in dem Artikel veranlassen einen Rechtsanwalt zu einer Beschwerde beim Deutschen Presserat. Einmal ist davon die Rede, dass dem Angeklagten „angesichts der besonderen Schwere seiner Schuld eine lebenslange Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung droht“. An anderer Stelle heißt es: „An dem Tag, an dem sie von dem 25-jährigen Schulabbrecher, Arbeitslosen und Nichtskönner...angefahren, verschleppt, missbraucht und erdrosselt wurde“. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass es purer Zynismus sei, den Angeklagten als Schulabbrecher, Arbeitslosen und Nichtskönner zu qualifizieren. Zudem werde er vorverurteilt, da die Autorin von der Schuld des Mannes ausgehe, noch lange bevor der Prozess beendet sei. Die Chefredaktion der Zeitung erklärt, es sei Tatsache, dass der Angeklagte nicht nur Schulprobleme gehabt, sondern auch keinen Schulabschluss geschafft habe. Auch seine Versuche, eine Lehre abzuschließen oder einer geregelten Arbeit nachzugehen, seien ebenso gescheitert. Der Beschwerdeführer könne nicht bestreiten, dass der Angeklagte arbeitslos sei. Die Aneinanderreihung dieser Fakten im Zusammenhang mit der Darstellung dessen, was dem Angeklagten im Zusammenhang mit dem Tod des ermordeten Mädchens vorgeworfen werde, habe nichts mit Zynismus zu tun. Der Angeklagte habe bei seiner Verhaftung ein umfängliches Geständnis abgelegt. Bei diesem Geständnis sei er bis heute geblieben. Die Feststellung einer schweren Schuld könne nicht, wie der Beschwerdeführer es meine, als ausschließlicher juristischer Terminus angesehen werden, dessen Wertung Laien verwehrt sei. Es sei der Allgemeinheit wohl nicht verwehrt, die Schwere seiner Schuld selbst zu bewerten. Dies gelte auch für die Medien. (2001)