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Recherche ohne Sorgfalt

Redaktion nutzte nicht das Angebot der Akteneinsicht

Eine Regionalzeitung berichtet, der Geschäftsführer einer städtischen Wohnbaugesellschaft habe illegale Geldbeträge in Briefumschlägen erhalten. Das Geld stamme aus doppelt bezahlten oder falschen Rechnungen des Unternehmens. Das Blatt untermauert seinen Artikel mit dem Hinweis, ihm liege eine eidesstattliche Versicherung vor, die diese Vorgänge bestätige. Der betroffene Geschäftsführer reicht über seinen Anwalt Beschwerde beim Deutschen Presserat ein und beklagt darin eine Vorverurteilung. Sein Mandant – so der Anwalt – sei von dem Autor des beanstandeten Artikels nicht gehört worden. Der Redakteur habe das Angebot zur Akteneinsicht abgelehnt und keine Anstalten gemacht, den Verdacht zu verifizieren. Der Beschwerdeführer meint, in einem derart frühen Verdachtsstadium sei eine identifizierende Berichterstattung unzulässig. Der Rechtsanwalt weiter: Die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei haben zutage gefördert, dass der Autor des Beitrages in krasser Weise gegen seine Sorgfaltspflichten verstoßen und einen dubiosen Informanten vor seinen Karren gespannt habe. Dieser Informant – so die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers weiter – sehe sich mittlerweile mit einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen Verleumdung konfrontiert. Zudem habe der Redakteur von Anfang an gewusst, dass sein Informant ein starkes Motiv hatte, den Beschwerdeführer anzuschwärzen. Die Chefredaktion der Zeitung betont in ihrer Stellungnahme, der Redakteur habe aus Gründen des Informantenschutzes den Namen des Informanten und andere Einzelheiten nicht preisgeben können. Bei dem Informanten handle es sich um einen Handwerker, der von dem städtischen Unternehmen abhängig sei. Er habe bei Preisgabe seines Namens selbst mit einem Strafverfahren rechnen müssen. Nach Ansicht der Zeitung handelte es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Der Beschwerdeführer habe Gelegenheit gehabt, sich zu den Vorwürfen zu äußern und sei in dem angegriffenen Artikel ausführlich zu Wort gekommen. Das Angebot des Geschäftsführers zur Akteneinsicht – so die Chefredaktion weiter – habe die Redaktion abgelehnt, weil die Befürchtung bestand, dass dadurch der gewährte Informantenschutz gegenüber dem Handwerker nicht mehr aufrechterhalten werden könne. (2001)