Selbsttötung
Spekulationen der Kollegen über das Motiv der Tat
Ein Boulevardblatt meldet mit der Dachzeile „Ehe kaputt“, dass ein 42-jähriger Ingenieur im fünfstöckigen Bürogebäude eines Automobilwerkes in den Tod gesprungen sei. Der Beitrag nennt den Vornamen des Mannes und den Anfangsbuchstaben seines Familiennamens. Erwähnt wird ferner, dass auch die 38-jährige Ehefrau in dem Automobilwerk arbeitet, dass das Paar einen siebenjährigen Sohn hat. In dem Artikel wird ferner über das Motiv der Selbsttötung spekuliert. Ein Kollege kommt zu Wort und teilt mit, dass sich die attraktive Frau des Mannes im Frühjahr in einen jüngeren Mechaniker verliebt habe und ihren Mann verlassen wollte. Weiterhin wird ein Kollege dahingehend zitiert, dass ein Leben ohne seine Frau für den Mann undenkbar gewesen sei. Eine Leserin des Blattes reicht die Veröffentlichung an den Deutschen Presserat weiter. Der Selbstmord des Mannes im Gebäude seiner Firma sei zu keinem Zeitpunkt von öffentlichem Interesse und rechtfertige in keiner Weise eine irgendwie geartete Berichterstattung. Die Kennzeichnung des Opfers lasse darüber hinaus alle Betriebsangehörigen sofort erkennen, um wen es sich handele. Der Artikel behaupte, die „kaputte Ehe“ sei der Grund für den Selbstmord, und assoziiere einen Schuldvorwurf an die Witwe. Durch den Hinweis, dass sie gleichfalls in der genannten Firma arbeite, und durch die Nennung des Namens ihres Mannes sei auch sie klar zu identifizieren. Die Rechtsabteilung der Zeitung ist der Ansicht, dass der Selbstmord eines leitenden Mitarbeiters im Dienstgebäude der Automobilfirma die Berichterstattung rechtfertige. Der Vorgang sei außergewöhnlich tragisch. Nicht erst durch die Berichterstattung hätten die Kollegen des Ingenieurs von dessen Selbstmord erfahren. Der Vorgang sei in der Firma bereits bekannt gewesen. Trotzdem wird eingeräumt, dass man auf den abgekürzten Namen hätte verzichten können. Die Zeitung habe korrekt darüber berichtet, dass im kollegialen Umfeld des Toten von persönlichen Problemen auf Grund einer möglichen Trennung von seiner Frau gesprochen worden sei. (2002