Zeitgeschichte
Eine 87jährige Deutsche, die im Frühjahr 1945 drei jüdische Flüchtlinge vor ihren Verfolgern versteckt hat, erhält aus den Händen des israelischen Botschafters den Ehrentitel “Gerechte unter den Völkern”, die höchste Auszeichnung, die Israel an Nicht-Juden vergibt. Postum wird auch der Ehemann mit dieser Ehrung bedacht. Die Zeitung am Ort nimmt das Ereignis zum Anlass, aus dem Leben der alten Dame und über die Umstände ihrer guten Taten zu berichten. In einem ersten Bericht wird unter der Überschrift “Sie rettete Leben und verlor das Liebste” berichtet, Russen hätten ihren Mann 1945 erschossen. Zwei Wochen später wird in einem Beitrag über die Ehrung selbst erwähnt, der postum Ausgezeichnete sei damals von SS-Leuten ermordet worden. Eine Freundin der Geehrten wendet sich mit einer Beschwerde an den Deutschen Presserat. Die Behauptung, dass der Ehemann von Russen erschossen worden sei, stempele Angehörige der Sowjetarmee zu Judenmördern. Aus dem nicht weiter kommentierten Satz gehe nicht hervor, dass es sich um die in SS-Diensten stehenden russischen Soldaten des Generals Wlassow gehandelt habe, die auch nach dem Fall Berlins in Deutschland “Judensäuberungen” durchgeführt hätten. Die Chefredaktion der Zeitung hält die Beschwerde für unbegründet, da die Berichterstattung den Tatsachen entspreche. Die Verfasserin des Artikels habe ein langes Gespräch mit der alten Dame geführt. Dabei habe diese ausdrücklich erklärt, ihr Ehemann sei “von den Russen” erschossen worden. Die Zeitung legt für diese Aussage weitere Belege vor. (1996)