Lügengeschichten
Eine Boulevardzeitung berichtet über die Vorsitzende einer Initiativgruppe vom Zölibat betroffener Frauen, die in einem Schreiben an das zuständige Bistum mitgeteilt habe, sie kenne ein 15jähriges Mädchen, das von einem Pfarrer zum Sex gezwungen worden sei. Das Kind sei dabei geschwängert worden, so dass eine Abtreibung vorgenommen werden müsse. Die Zeitung unterstellt der Frau, dass sie den Pfarrer kennt. Sie unterstellt ihr auch, sie wolle der Staatsanwaltschaft den Namen nicht bekannt geben und sie nehme es lieber in Kauf, dass ein übler Verbrecher ungestraft bleibe. Auf Grund dieser – angenommenen – Verhaltensweise stellt die Zeitung die Frage, ob der ganze Vorgang möglicherweise nur erfunden sei. In der Überschrift heißt es daher “Wer lügt denn da, Frau ...?” Verbunden damit ist ein Wortspiel mit dem Namen der Sozialpädagogin. Die betroffene Frau beschwert sich beim Deutschen Presserat darüber, dass ihr Eigenname zur Unterstützung der Tendenz des Artikels in unzulässiger und journalistisch unredlicher Weise verunstaltet wurde. Ferner beklagt sie inhaltlich falsche Darstellungen. Bei einer einigermaßen seriösen Recherche wäre den Autoren nicht entgangen, dass ihr der Name des beschuldigten Priesters nicht bekannt sei. Etwas anderes hätte sie zu keinem Zeitpunkt angegeben. Die Rechtsabteilung des Verlags teilt in ihrer Stellungnahme mit, dass der Hintergrund des Artikels eine öffentliche Erklärung der Beschwerdeführerin gewesen sei. In dieser Erklärung seien zwar weder der Name des Opfers noch der Name des Täters genannt worden. Die Beschwerdeführerin habe jedoch keinen Zweifel daran gelassen, dass ihr beide Personen bekannt seien. Die Staatsanwaltschaft habe daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet, weil die Frau sich weder zur Person des Geistlichen noch zu der des betroffenen Mädchens habe äußern wollen. Sie habe dem Mädchen Anonymität zugesichert, habe sie dazu zunächst gesagt. Dieses Verhalten der Gründerin einer Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, von Geistlichen “missbrauchten” Frauen zu helfen, sei nur schwer nachvollziehbar und habe Anlass zu Zweifeln gegeben. Dies um so mehr, als die Frau in der Folgezeit ihr Schweigen damit begründet habe, weder den Namen des beschuldigten Priesters noch den des betroffenen Mädchens zu kennen. Dieser offensichtliche Widerspruch zu ihrer früheren Aussage habe der Zeitung Anlass gegeben, den Sachverhalt und das Verhalten der Frau in Frage zu stellen. Der kritisierte Artikel artikuliere nur die Zweifel, zu denen die Beschwerdeführerin mit ihrem Verhalten selbst Anlass gegeben habe. Er enthalte weder unrichtige Behauptungen, noch verletze er die Ehre der Beschwerdeführerin. (1996)