Strafvollzug
Angebliche Missstände in einer Justizvollzugsanstalt sind das Thema einer Artikelserie in einem Boulevardblatt. Die Zeitung spricht von einem “Saustall”. Nach der Aussage eines Beamten ist das Wachpersonal käuflich. Außerdem gibt es eine Schutzgeld-Mafia. Gehandelt wird mit Drogen, Sex und Schnaps. Der namentlich nicht genannte Beamte wird wie folgt zitiert: ”Für 10.000 Mark bekommen sie ganz privaten Ausgang. Zwischen 22 und fünf Uhr. Durch die Hintertür hinter dem Sportplatz werden sie nachts herausgelassen. Und können ganz gemütlich ins Städtchen fahren. In aller Regel werden die Herren von einem Chauffeur abgeholt.” Beim Deutschen Presserat gehen zwei Beschwerden über diese Veröffentlichungen ein. Ein Mitglied des Beirats der Anstalt und der Anstaltsleiter selbst vertreten die Auffassung, dass die Serie nicht über die in einem Gefängnis üblichen und keineswegs auszuschließenden Unregelmäßigkeiten berichtet. Allein schon der Titel “Saustall” wolle suggerieren, dass hier ein ganz außergewöhnlicher Skandal aufgedeckt werde. Doch selbst wenn die in den Artikeln enthaltenen Behauptungen wahr wären, könne ihre Abhandlung auf diesem Sex- and Crime-Niveau nicht hingenommen werden. Das Beiratsmitglied wirft dem Autor vor, gar nicht recherchiert zu haben. Die Behauptungen des angeblichen Informanten hätten durch Fragen an jede(n) beliebige(n) Beamtin/Beamten der JVA leicht widerlegt werden können. Da dies offensichtlich unterlassen wurde, dürfe unterstellt werden, dass kein Interesse an der Wahrheit bestand. Wie der Leiter der Anstalt mitteilt, hat die Artikelserie großes Aufsehen erregt. Der Justizminister des Landes hat eine Untersuchungskommission eingesetzt, die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Rechtsabteilung des Verlags erklärt, wegen der hoch sensiblen Thematik habe der Redakteur den Gewährsmann sorgfältig auf seine Glaubwürdigkeit und die Zuverlässigkeit seiner Informationen hin überprüft. Er habe sich nicht nur durch Vorlage seines Dienstausweises als JVA-Beamter ausweisen können, er sei auch anderen Mitarbeitern des Hauses als Bediensteter der JVA bekannt. In mehreren Punkten deckten sich die Aussagen des Informanten mit den Berichten von Gefangenen. Die Berichterstattung sei aber auch durch die Äußerungen verschiedener Strafverteidiger, darunter eines namentlich genannten Rechtsanwalts, bestätigt worden. (1997)