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Life-Style-Service

Hinweise auf diverse Produkte als Service im Leserinteresse

Ein Journalist, Dozent von Kursen für angehende Fachjournalisten, legt dem Deutschen Presserat mehrere Ausgaben des Magazins und der Jugendbeilage einer Tageszeitung vor und kritisiert, dass in einer Vielzahl von Beiträgen auf Unternehmen und deren Produkte hingewiesen wird. So werde in einer Titelgeschichte unter der Überschrift “Ein Sommer im Paradies” unverblümte Werbung für diverse Bikinihersteller betrieben. Eine andere Titelgeschichte werbe mit vier ganzseitigen und zwölf viertelseitigen Farbfotos für Schlipse. Unter dem fadenscheinigen Vorwand, die Leser/innen bräuchten endlich dämmerungstaugliche Textilien, biete die Zeitschrift einer stattlichen Reihe von Firmen ohne jegliches journalistisches Alibi eine vierfarbige Werbestrecke. Der Beschwerdeführer wartet mit einer Vielzahl weiterer Beispiele auf, darunter Texte bzw. Fotos über Essstäbchen für Kinder, Mini-Badetücher, Kosmetika, Tiertransporte auf Urlaubsreisen u.a. Was das Magazin betreibe, erscheine vielen seiner Schüler bereits als völlig normal: “Bei einer Prüfungsfrage, die auf die Einmischung von Anzeigenleitern in Redaktionen abziele, schreiben erschreckend viele Probanden, sie würden sich im Endeffekt den Wünschen des Anzeigenleiters beugen.” Wenn diese Einstellung weiter um sich greife, brauchten wir bald keinen Presserat mehr. Die Chefredaktion des Magazins lässt den Presserat wissen, dass sie seit drei Jahren die Kompetenz des Magazins im Bereich Mode und Life-Style sukzessive ausbaue. Damit verbunden sei eine Zusammenarbeit mit den bedeutendsten Fotografen und Stylisten der Welt. Besonders die Specials zu den Themen Mode, Design etc. hätten nicht nur bei den Lesern, sondern auch bei den entsprechenden Anzeigenkunden deshalb so großen Anklang gefunden, weil man “unorthodox” mit Konsumgegenständen verfahre. Ein besonders gutes Beispiel dafür sei die Krawattengeschichte, die der Beschwerdeführer in seinem Schreiben anspreche. Die Geschichte sei aus einer kleinen Meldung, die im Wissenschaftsteil gedruckt wurde, entstanden. Dass man den Lesern dabei nicht verschweigen sollte, von welcher Firma die abgebildeten Krawatten seien, entspreche dem Verständnis von Service. Seit Anfang des Jahrhunderts würden die Trennungslinien zwischen Kultur- und Konsumgütern immer verschwommener. In den letzten zehn Jahren fänden immer häufiger Mode- und Modefotografieausstellungen in großen Museen statt. Diese Art von intellektueller Durchdringung kennzeichne auch die Auseinandersetzung des Magazins mit dem Thema und versuche damit grundsätzlich andere Wege zu gehen als Teile der Life-Style-Presse, die mitunter einfach sogenannte “Waschzettel” der PR-Abteilungen abzuschreiben pflege. Dass es dabei für Außenstehende zu Gratwanderungen kommen könne, sei nachzuvollziehen, doch das gesamte Streben richte sich danach, einen mündigen Konsumenten mit den Informationen zu erreichen, so wie man bei politischen Themen einen mündigen Bürger voraussetze. Die Chefredaktion der Tageszeitung ergänzt die Stellungnahme der Kollegen mit der Feststellung, die Jugendbeilage des Blattes wolle ihre Leser mit allen möglichen jugendrelevanten Themen überraschen. Man könne nicht erkennen, dass man in der Berichterstattung über solche Themen andere journalistische Kriterien anlegen würde, als bei den vermeintlich “ernsteren”. So würden bei Büchern, die in dem Magazin rezensiert würden, auch Autor, Verlag und Preis genannt, ebenso verhalte es sich in der Berichterstattung über Mode und Musik. Die Angabe von Preisen und Bezugsquellen der Kleidung, die in den Magazingeschichten vorgestellt würden, entsprächen nach Auffassung der Redaktion dem Informationsinteresse des Lesepublikums. Die kritisierten Titelgeschichten ließen sich nicht als Reklametexte lesen, sondern verfolgten stets eine journalistische Idee. So greife die Geschichte “Mode für den Sonnenaufgang” fotografisch und mit dem Text das Lebensgefühl auf, das Jugendliche nach einer langen Nacht am frühen Morgen hätten. Der Beitrag ergebe ein Bild, das nichts mit Werbung zu tun habe, sondern mit jugendlicher Stimmung. Noch deutlicher werde das in der Titelgeschichte “Frühlingsmode”, in der auf die Abbildung der Mode ganz verzichtet werde, da der Kontext, in dem Mode üblicherweise gezeigt werde, viel interessanter erscheine als die betreffenden Produkte selbst. (1999)