Kritik am Bürgermeister
Kommentar zum Wahlausgang von Meinungsfreiheit gedeckt
Im Ort ist Bürgermeisterwahl. Der Amtsinhaber macht das Rennen im ersten Wahlgang mit 52,2 Prozent der Stimmen. Die Lokalzeitung berichtet darüber und kommentiert den Wahlausgang. Dass der alte und neue Bürgermeister die absolute Mehrheit ums Haar verfehlte, sei eine schallende Ohrfeige der Wählerinnen und Wähler. Sie habe nichts mit der Sacharbeit des Verwaltungsfachmannes zu tun, deren Erfolge unbestritten seien. Auch nicht mit der „Undankbarkeit“ der Wählerschaft und eben so wenig mit dunklen Machenschaften. Sie sei vielmehr in Person und Stil des Betroffenen begründet. Wie viele Dorfbürgermeister habe er eine Neigung zu Selbstüberschätzung und Selbstherrlichkeit entwickelt, dem ein eben so großer Mangel an Selbstkritik korrespondiere. Völlige Unfähigkeit, mit abweichenden Meinungen angemessen umzugehen, sei die Folge. Wer wider den Stachel des Bürgermeisters löcke, wer gegen Mehrheitsentscheidungen im Gemeinderat aufbegehre, werde oft auf ungehobelte Art und Weise heruntergeputzt. Dahinter stehe ein verqueres Demokratieverständnis. Demokratie heiße zwar, dass Mehrheitsentscheidungen zu respektieren seien. Demokratie heiße aber auch, dass alle gewählten Ratsmitglieder als Menschen zu respektieren seien und nicht ihrer abweichenden Meinung wegen herabgewürdigt werden dürften. Wenn der Bürgermeister diese einfachen Spielregeln auch nach dieser Ohrfeige nicht begreife – dann sei ihm wirklich nicht mehr zu helfen. Der betroffene Bürgermeister sieht sich beleidigt. Er schreibt an den Deutschen Presserat. In seiner 16-jährigen Amtszeit habe er gelernt, mit der Presse zusammenzuarbeiten und sich mit ihr auch kritisch auseinander zu setzen. Das sei gelebte Demokratie. Der Kommentar zu seiner Wiederwahl enthalte – juristisch gesehen – „Wertungen“, die man sich im öffentlichen Leben stehend wohl gefallen lassen müsse, jedoch nicht als Kommentar der einheimischen Zeitung. Die Chefredaktion der Zeitung gibt zu, dass die Formulierungen im Kommentar hart und pointiert seien, jedoch keineswegs journalistischem Anstand widersprächen. Der Bürgermeister werde weder in seiner Ehre verletzt noch werde seine Menschenwürde angegriffen. (2001)