Fotos vom Straßenbahn-Surfen
Gestellt oder nicht gestellt – das ist die Frage
Eine Lokalzeitung kritisiert das “Straßenbahn-Surfen”. Dies sei ein gefährlicher Zeitvertreib der Kinder in der Stadt. Dem Artikel beigestellt ist ein Foto, das zwei Kinder zeigt, die auf der Anhängerkupplung einer fahrenden Straßenbahn stehen. Der Leitende Oberstaatsanwalt der Stadt teilt dem Deutschen Presserat in einer Beschwerde mit, dass Polizeibeamte bei einem Fotografen zur Beweissicherung einen Film sichergestellt haben, der zwei 13 Jahre alte Jungen zeigt, die sich auf der Anhängerkupplung einer fahrenden Straßenbahn befinden. Grund dafür sei der Verdacht, der Fotograf habe strafunmündigen Kindern 100 D-Mark dafür bezahlt hat, dass sie die Szene zum Fotografieren gestellt hätten. Die Chefredaktion der Zeitung erklärt, der besagte Fotograf sei gelegentlich als freier Mitarbeiter für sie tätig. Er habe den strittigen Beitrag in der Redaktion mit dem Hinweis abgeliefert, die schlechte Qualität der Fotos resultiere daraus, dass er sich versteckt gehalten habe und nicht dicht genug an die Jugendlichen herangekommen sei. Nach den Erkenntnissen der Zeitung habe der Mann die Kinder nicht animiert, auf die Anhängerkupplung der Straßenbahn zu steigen. Er habe versichert, dass beim Zustandekommen der Fotos kein Geld geflossen sei, wie es vom Beschwerdeführer behauptet werde. Zwei Tage nach dem Erscheinen des Beitrages habe die Polizei bei dem Mitarbeiter eine Kassette mit Filmmaterial beschlagnahmt, das jedoch nicht für die Zeitung, sondern für ein anderes Medium bestimmt gewesen sei. Der Stellungnahme der Chefredaktion ist eine Erklärung des Fotografen beigefügt, dass er für das Zustandekommen der Bilder kein Geld gezahlt habe. Die Fotos seien zufällig entstanden. Der Staatsanwalt teilt dem Presserat auf Anfrage mit, dass er die Kassette mit den Filmaufnahmen zur Prüfung der Verfolgung der Tat unter dem Gesichtspunkt der Ordnungswidrigkeit an die zuständige Bußgeldbehörde, das Wirtschaftsministerium des Landes, weitergereicht habe. Der Verdacht, dass der Fotograf die Kinder entlohnt habe, beruhe darauf, dass in einer anderen Stadt zwei 13jährige Jungen aufgegriffen worden seien, die berichteten, sie hätten von einem Fotografen dieses Namens 200 D-Mark dafür erhalten, dass sie ihm von ihren Straftaten erzählen. Einer der Jungen habe nach Polizeierkenntnissen einen 14jährigen aufgefordert, mit ihm in die betreffende Stadt zu fahren, um sich für 100 D-Mark dort beim Straßenbahnsurfen filmen zu lassen. Das Wirtschaftsministerium überlässt dem Presserat die Kassette mit den kritisierten Filmaufnahmen. Gleichzeitig teilt es mit, dass gegen den Fotografen in dieser Angelegenheit ein Bußgeldbescheid erlassen worden sei, gegen den er keinen Einspruch eingelegt habe. Der Film zeigt zwei Jungen beim S-Bahn-Surfen. In einer Szene werden der fahrende S-Bahn-Zug und die auf der Anhängerkupplung stehenden Jugendlichen von außen gezeigt, während in einer zweiten Einstellung die Szene aus dem Innern des Zuges gefilmt wird. Weiter zeigt der Film den stehenden Zug und die beiden Jungen, die auf die Anhängerkupplung klettern. In dieser Sequenz ist der Satz zu hören: “...wenn was ist, sag’ ich euch Bescheid...”. Mit diesen Fakten konfrontiert, erklärt die Chefredaktion, dass die Staatsanwaltschaft hier offenbar zwei verschiedene Fälle anspreche, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang stünden. Dies wäre zum einen der Beitrag zum Straßenbahn-Surfen in der Zeitung, zum anderen der Filmbeitrag eines Privatsenders über zwei “Crashkids”, welche die Reeperbahn unsicher machten. Der zuständige Redakteur des Privatsenders erklärt, der Fotograf habe ihm geholfen, zum Zwecke eines Interviews Kontakt mit den beiden Jungen aufzunehmen. Dabei hätten die Kinder kein Geld erhalten. Lediglich Essen und Trinken habe er finanziert. Der Fotograf sei nur assistierend tätig gewesen. Auch der Fernsehredakteur betont, dass es sich um zwei grundverschiedene Sachverhalte handele. (1998)