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Unlautere Recherchemethode

Reporterin interviewt eine Patientin ohne Wissen der Ärzte

Eine 36-jährige Frau, die drei Wochen zuvor ein Baby aus der Säuglingsstation einer Klinik entführt hat, soll aus der Psychiatrie eines Krankenhauses entlassen werden. Der Mitarbeiterin einer Boulevardzeitung gelingt es, mit der Frau in deren Zimmer im siebten Stock der Klinik ein Gespräch zu führen. Darüber berichtet sie in einem Artikel unter der Überschrift „Ich komme Freitag aus der Psychiatrie“. Sie schildert die Beweggründe, welche die Frau zu der Tat veranlasst haben. Sie habe nichts Böses im Sinn gehabt, das Baby nur haben wollen, weil sie ihre eigenen fünf Kinder nicht hatte sehen dürfen. Zum Schluss des Artikels werden die Vorkehrungen der Polizei erwähnt, welche die Entführerin im Gegensatz zu deren Ärzten nach wie vor für gefährlich halte. Die Pressestelle des Senators für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales nimmt den Vorfall zum Anlass, sich beim Deutschen Presserat zu beschweren. Das Gespräch, über das die Zeitung berichtet, sei ohne Wissen der Ärzte geführt worden. Die Journalistin habe sich auch nicht angemeldet, sondern die Patientin einfach in deren Zimmer aufgesucht. Sie habe damit die extrem schwierige Lage einer Frau in verantwortungsloser Weise ausgenutzt. Die Redaktionsleitung des Blattes hält die Beschwerde für unbegründet. Die Autorin selbst weist darauf hin, dass sie das Krankenhaus durch den Haupteingang betreten und sich beim Empfang gemeldet habe. Sie habe dort erklärt, dass sie die betroffene Frau besuchen wolle, und um deren Zimmernummer gebeten. Nach Einsichtnahme in die Datei habe ihr der Mitarbeiter des Krankenhauses die Zimmernummer genannt. Sie habe schließlich die Patientin in einem Raucherzimmer angetroffen und sich als Mitarbeiterin der Boulevardzeitung zu erkennen gegeben. Die Betroffene habe sie daraufhin gebeten, mit ihr auf ihr Zimmer zu kommen, wo man ungestört reden könne. Sie habe sich dann etwa 20 Minuten mit der Frau unterhalten. Diese habe fröhlich und gelöst gewirkt. Die Patientin habe dann das Zimmer kurz verlassen, um eine Vase für Blumen zu holen, und in diesem Zeitraum einer Krankenschwester wohl von der Anwesenheit einer Journalistin berichtet. Daraufhin sei eine Schwester mit zwei kräftigen Pflegern in das Zimmer gestürmt und habe sie aufgefordert zu gehen. Die Pfleger hätten sie in ein Büro gebracht, wo ihr ein Stationsarzt ziemlich unhöflich Vorhaltungen gemacht habe. Sie habe sich dafür entschuldigt, für Unruhe gesorgt zu haben, aber darauf hingewiesen, dass sie sich keiner Schuld bewusst sei. Kurze Zeit später sei der Leiter der Psychiatrie erschienen und habe sie sehr freundlich begrüßt. Sie habe sich nochmals entschuldigt und der Professor habe erklärt, dass er die Angelegenheit als erledigt betrachte. Aus dieser Schilderung ihrer Autorin zieht die Redaktionsleitung den Schluss, dass die Beschwerde unbegründet ist. Der Redakteurin sei ohne Widerspruch die Zimmernummer der Patientin mitgeteilt worden. Und die Mitarbeiterin habe im Verlauf des Gesprächs den Eindruck gewonnen, dass die betreffende Frau sich nicht in einem schutzbedürftigen Zustand befand. Der Presserat bittet den Leitenden Arzt des Zentrums für Psychiatrie und Psychotherapie um Mithilfe bei der Klärung des Sachverhalts. Der Professor erklärt, das Krankenzimmer der betroffenen Frau sei für jedermann zugänglich gewesen, der sich als Besucher ausgegeben habe. Die Journalistin habe sich als Besucherin ausgegeben, um zur Station und zu dem Zimmer zu gelangen. Sie sei aber keine Besucherin gewesen. Er kritisiert, dass sie sich nicht als Journalistin vorgestellt habe, so dass man mit der Patientin hätte Rücksprache halten können, ob sie mit einem Gespräch einverstanden sei. Dies sei jedoch nicht geschehen. Die Patientin habe auf Grund der Aufdringlichkeit der Reporterin und der Drohung, sie zu fotografieren, vielmehr das Pflegepersonal zu Hilfe holen müssen. Dieser „Überfall“ habe erhebliche negative Auswirkungen auf die Befindlichkeit der Patientin gehabt, so dass sie zu dem ursprünglich genannten Termin nicht entlassen werden konnte. Der Arzt teilt schließlich mit, dass er etwa zwei Stunden vor Eindringen der Journalistin in die Station mit dieser ausführlich telefoniert und ihr alle möglichen Informationen gegeben habe. Dabei habe er das Schutzbedürfnis der Patientin betont. Die Journalistin habe in diesem Gespräch einen möglichen Besuch mit keinem Wort angedeutet. (2001)