Verdeckte Quellen
Mehrere Tageszeitungen, auch eine Nachrichtenagentur, greifen Berichte eines Fernsehmagazins auf, wonach der Redakteur einer Zeitschrift viele Jahre Stasi-Agent gewesen sein soll. Der Bericht sei auf die Aussagen von drei ehemaligen hauptamtlichen Stasi-Mitarbeitern gestützt worden, die Einzelheiten über angebliche Spionagehandlungen mitteilten. Die Staatsanwaltschaft ermittele. Mitgeteilt wird auch, dass der Redakteur enge Kontakte zum früheren MAD-Chef und zum früheren Verteidigungsminister gehabt habe. Die deutschen Sicherheitsbehörden stuften den Fall als »sehr hochrangig« ein. Der Betroffene bestreite die Vorwürfe. Die Zentrale der Nachrichtenagentur bittet ihren Korrespondenten in Bonn um einen Hintergrundbericht. Was kann der Mann der Stasi wohl alles verraten haben? Wie schätzen Bonner Sicherheitskreise den Fall ein? Daraufhin erscheint der Korrespondentenbericht »Offiziere: Wir müssen von schwerem militärischen Verrat ausgehen«. Darin werden Aussagen wiedergegeben, die »Offiziere« und »zuständige Abteilungen« des Verteidigungsministeriums, »Geheimdienstexperten« sowie »Bonner Sicherheitskreise« zum Fall abgegeben haben. So solle der Redakteur brisante Einzelheiten der Bundeswehrplanung nach Ost-Berlin geliefert haben. Er habe als »Militär-Intimus« absoluten Zugang zu allen Topleuten der Bundeswehrspitze gehabt. Mitgeteilt wird wiederum, dass er die Vorwürfe bestreitet. Acht Tage später wird dem Verfasser des Korrespondentenberichts von Kollegen ein »offener Brief« überreicht, in dem 28 Unterzeichner ihre Kritik gegen den Bericht zum Ausdruck bringen. Er habe »auf handwerklich zweifelhafte Weise und unter Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht zu einer öffentlichen Vorverurteilung« des Redakteurs beigetragen, die »dem Prinzip der Unschuldsvermutung grob zuwider« laufe. Die angeführten Quellen dürften als Grundlagen für einen seriösen Bericht nicht in Frage kommen. Die Behauptungen seien beim Betroffenen nicht überprüft worden. Der Verfasser des Berichts erhalte innerhalb zweier Tage Gelegenheit zur Stellungnahme. Danach würde der »offene Brief« in den Pressehäusern und Bonner Redaktionen verteilt. Entgegen dieser Ankündigung wird der Brief bereits einen Tag später, unmittelbar vor einem Gesprächstermin zwischen den Beteiligten, verteilt. Der so angegriffene Redakteur wendet sich gegen das Verhalten der Kollegen und bittet darum, der Deutsche Presserat möge überprüfen, ob sein Korrespondentenbericht tatsächlich sorgfaltswidrig war. (1990)