Kannibalismus
Schockierende Fotos belegen ethnische Konflikte auf Borneo
Unter der Überschrift „Die Schlächter von Borneo“ dokumentiert eine Zeitschrift in Wort und Bild die grausamen Riten archaischer Kopfjäger. Bei den jüngsten ethnischen Ausschreitungen zwischen Einwanderern und Ureinwohnern habe Indonesien unvorstellbare Gräueltaten erlebt, stellt die Zeitschrift einleitend fest. Folter, Mord und Kannibalismus seien an der Tagesordnung gewesen. Schockierende Fotos des australischen Autors belegen den Text. Eine der Unterzeilen lautet: „Köpfe liegen herum, die Augen geschlossen, den Horror des letzten Augenblicks für die Ewigkeit festgehalten.“ In einer anderen wird festgestellt: „Der Geruch von totem Fleisch nimmt uns den Atem, wir müssen würgen. Ein Toter liegt da, ohne Innereien.“ Ein Leser beklagt sich darüber beim Deutschen Presserat. Er kritisiert die Veröffentlichung der Fotos, welche die Menschenwürde verletzten und Gewalt sowie Brutalität in unangemessen sensationeller Form darstellten. Die Chefredaktion der Zeitschrift äußert ihr Befremden über die Beschwerde. Sie ist der Ansicht, ein wichtiges aktuelles Thema adäquat dokumentiert zu haben: Journalistisch einwandfrei recherchiert und bildlich festgehalten von einem Fotoreporter, dessen Renommee außer Zweifel stehe. Es sei unstrittig, dass es sich hier um Vorgänge unvorstellbarer Grausamkeit handele. Man halte es aber für falsch, wenn Journalisten deshalb die Augen vor einem solchen Thema verschließen oder es durch eine weniger drastische Bildauswahl verharmlosen würden. Neben den gedruckten Bildern belegten zahlreiche weitere, zum Teil noch erheblich grausamere Darstellungen des „Kannibalismus“ die Authentizität des Berichtes. Man habe sich erst nach mehreren Diskussionen in der Redaktion entschlossen, die Reportage zu drucken. Auf Nachfrage teilt das Institut für Asienkunde in Hamburg dem Presserat mit, dass die Fakten, die in dem Beitrag dargelegt sind, grundsätzlich der Wahrheit entsprechen. Es handele sich um kurzzeitliche Gewaltausbrüche, die aller Kenntnis nach von interessierten Gruppen bewusst ausgelöst worden seien. Kannibalismus sei dabei in Einzelfällen durchaus möglich, wenngleich auch nicht üblich. Ob es sich um einen realen oder rituellen Kannibalismus handele, könne davon abhängen, wie viel dafür geboten worden sei. Die Vorgänge, welche der Beitrag schildere, seien allerdings auf Borneo keineswegs an der Tagesordnung. Das Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle/Saale kann eine befriedigende Antwort auf die Fragen des Presserats auch nicht geben, ist aber ziemlich überzeugt davon, dass die Fotos echt sind, und hält auch die im Text gegebene Beschreibung im Allgemeinen für plausibel. Es scheine durchaus wahrscheinlich, dass tatsächlich Köpfe abgeschlagen, Menschen aufgeschlitzt und ihnen Organe entnommen worden seien. Das Institut verweist auf ähnliche andere Erfahrungen. Ob daraus jedoch auf einen häufigen Kannibalismus geschlossen werden könne, sei eine andere Frage. Die Bildunterzeilen seien dramatisierende Feststellungen, die im Text nicht dokumentiert worden seien. Im Ergebnis sei die Grenze zu einem nicht mehr vertretbaren Journalismus jedoch nicht überschritten. Die Pressestelle des Auswärtigen Amtes teilt dem Presserat mit, dass die in dem Artikel aufgestellte Behauptung, es habe im vergangenen Jahr Fälle von Kannibalismus oder Kopfjägerei durch Dayak auf Borneo gegeben, sich nicht erhärten lasse. Den dargestellten Sachverhalt könne man natürlich nicht völlig ausschließen, er werde aber durch die dem Auswärtigen Amt bekannten Fakten nicht gestützt. In einer beigefügten Stellungnahme der Deutschen Botschaft in Jakarta heißt es, es habe im Zeitraum von Dezember 1996 bis Februar 1997 Unruhen zwischen einheimischen Suku Dayak und zugewanderten Suku Madura gegeben. Dabei solle es in diesem Zeitraum vereinzelt zu Kopfjagd durch die Dayak gekommen sein. Kannibalismus im engeren Sinne sei dabei nicht beobachtet worden, wohl aber der rituelle Verzehr des Blutes der getöteten Opfer. (2000)