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Gerichtsberichterstattung

Kritik an der Wiedergabe von Zeugenaussagen und Feststellungen des Staatsanwalts

Eine Regionalzeitung berichtet in mehreren Beiträgen über die Gerichtsverhandlung gegen einen Psychiater, der unter dem Verdacht steht, Patientinnen sexuell missbraucht zu haben. Wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Patientin und sexueller Nötigung wird der Mann zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Zeitung informiert ihre Leserinnen und Leser schließlich über eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der das Tatbestandsmerkmal der Widerstandsunfähigkeit durch das Landgericht nicht ausreichend dargelegt sieht, das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang aufhebt und den Fall zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverweist. Die Ehefrau des betroffenen Psychiaters führt Beschwerde beim Deutschen Presserat, weil sie ihren Ehemann durch die Berichterstattung in seiner Ehre verletzt und vorverurteilt sieht. Als Beispiele führt sie Zitate wie “mieses Geschlechtsleben”, “gewiss mannigfaltige Macken” und “ausufernde sexuelle Begierden” an. Die Beschwerdeführerin kritisiert ferner die Behauptung in einem der Beiträge, dass es Indizien für schwerste Misshandlungen gebe, obwohl im Prozess von Misshandlungen gar nicht die Rede gewesen sei. Falsch sei auch die Aussage, ihr Mann habe in seiner Praxis eine bestimmte Patientin offenbar mehrfach missbraucht. In diesem Punkt sei er jedoch vom Landgericht und auch in der Revisionsverhandlung vom BGH freigesprochen worden. Auch nach Aufhebung des Urteils durch den BGH spreche die Zeitung in ihren Beiträgen weiter von “Opfern” und “missbrauchten Patientinnen”. Die Chefredaktion der Zeitung erklärt, dem erstinstanzlichen Urteil liege zwar lediglich der jahrelange Missbrauch einer Patientin zugrunde, jedoch hätten zahlreiche andere Zeuginnen im Verlauf des Prozesses die in den Beiträgen angeführten “mannigfachen Macken”, “ausufernden Begierden” und das “ganze miese Geschlechtsleben” geschildert. Grundlage für die Aussage “Es gab Indizien für schwerste Misshandlungen” sei die Darstellung der Tochter der Hauptbelastungszeugin, sie habe ihre Mutter eines Tages völlig entstellt mit abrasierten Haaren vorgefunden. Zuvor habe sie ein verbranntes Kleid ihrer Mutter im Mülleimer entdeckt. Die Behauptung, der Angeklagte habe seine Opfer “gezielt” ausgesucht, stamme nicht von der Redaktion, sondern vom Oberstaatsanwalt und sei deutlich als Zitat gekennzeichnet. Auch die Formulierung “offenbar mehrfach missbraucht” sei zulässig, da in diesem Fall der Angeklagte nur freigesprochen worden sei, weil das Landgericht “gewisse Restzweifel” gehabt habe. Der Bundesgerichtshof habe das erstinstanzliche Urteil zwar aufgehoben, dies jedoch nur deshalb, weil er Zweifel gehabt habe, ob in 20 weiteren Fällen von Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten das Opfer “widerstandsunfähig” im Sinne des Strafgesetzbuches war oder ob es sich in irgendeiner Form gegen die Übergriffe des Psychotherapeuten hätte wehren können. Für sich gesehen sei die Verurteilung des Angeklagten wegen der sexuellen Nötigungen nach Ansicht des BGH rechtlich nicht zu beanstanden gewesen. Dies werde im entsprechenden Artikel auch so dargelegt. (1997)