Journalismus in den neuen Bundesländern
Kritik am Verhalten ehemaliger DDR-Journalisten nach der Wende
Unter der Überschrift “Genosse Alzheimer” berichtet eine Tageszeitung über die Arbeitsbedingungen der Journalisten in der DDR und deren Rolle als “staatstreue Diener”. Der Leser erfährt, dass die früheren SED-Bezirkszeitungen auf dem gesamten Gebiet der ehemaligen DDR den Untergang des Arbeiter- und Bauernstaates zumeist bestens überstanden und kaum an Einfluss verloren haben. Der Autor, von 1993 bis 1997 Redakteur bei einer ostdeutschen Zeitung, belegt seine Behauptung mit Namen und Beispielen. So bestimmten noch immer die alten Kader die Tendenz einer namentlich genannten Regionalzeitung. In diesem Milieu gelte eine engagierte Darstellung des staatskriminellen Unrechts der DDR und seiner Vollstrecker als Tabu. Im redaktionellen Alltag sei Genosse Alzheimer federführend. Dem Sozialismus dienten die ehemaligen Genossen heute nicht durch offene Bekenntnisse zum SED-Staat, sondern versteckt durch Zensur. Der Beitrag schildert das vergebliche Bemühen eines Radiojournalisten, über dieses Thema eine Debatte anzuregen. In den ehemals sozialistischen Tageszeitungen einer bestimmten Region “reagierten die gelernten ‘Agitatoren und Propagandisten’, die dort überwiegend die Redaktionsstuben bevölkern, in altbewährter Manier: abwiegeln, verzerren, totschweigen”. Wer sich dem Willen zum Verschweigen der Exgenossen nicht füge, sehe sich rasch zahlreichen Behinderungen ausgesetzt. Für die Entwicklung einer demokratischen politischen Kultur in den neuen Ländern birge dies hohe Risiken. Der stellvertretende Chefredakteur einer der betroffenen Zeitungen legt Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. Er bewertet den Beitrag als ein Pamphlet, das perfide auf dem schmalen Grat zwischen Tatsachenbehauptung und Wertung wandele, jede Objektivität vermissen lasse und nicht zuletzt persönlichen Motiven entspringe: Dem Autor sei im Rahmen wirtschaftlicher Sanierungsmaßnahmen unter Beachtung sozialer Auswahlkriterien gekündigt worden. Dass er quasi als Zeuge und Anwalt in eigener Sache fungierte, hätte eine besonders sorgfältige Prüfung durch die Redaktion erforderlich gemacht. Die Forderung der Chefredaktion, ihre Sicht der Dinge an gleicher Stelle und in vergleichbarem Umfang ebenfalls darstellen zu können, sei von den Kollegen unter Hinweis auf die Möglichkeit der Veröffentlichung eines Leserbriefes abgelehnt worden.