Selbsttötung
Boulevardblatt zeigt Selbstmörder vor und während der Tat
Unter der Überschrift „Gleich springt er vom Dach“ berichtet eine Boulevardzeitung über einen 29jährigen Mann, der sich vom Baugerüst einer Kirche in den Tod gestürzt hatte. Die Veröffentlichung enthält mehrere Fotos, die den Selbstmörder vor und während des Sprunges zeigen und ihn klar identifizierbar machen. Im Text wird angemerkt, dass es sich bei dem Mann um einen psychisch kranken Italiener handelt. Die Zeitung nennt Vornamen, Anfangs-buchstaben des Familiennamens und Alter des Betroffenen. Die Leiterin einer Krisen- und Lebensberatung ruft im Namen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Deutschen Presse-rat an. Als seit über 30 Jahren tätige Anlaufstelle für Menschen in Krisen habe man ein be-sonderes fachliches Interesse an einer verantwortlichen und seriösen Berichterstattung über Menschen, die sich das Leben genommen haben. Im vorliegenden Fall werde der tragische Suizid eines jungen Mannes in reißerischer Weise funktionalisiert, um eine äußerst fragwür-dige Sensationslust zu bedienen. Die Zeitung setze sich über die Erkenntnis hinweg, dass eine verantwortungsvolle und behutsame Berichterstattung signifikant die Suizidrate senkt. Die Redaktionsleitung des Blattes ist der Meinung, dass über den Vorfall berichtet werden musste, da eine große Öffentlichkeit in der Stadt daran teilgenommen habe. Tausende von Schaulustigen hätten das Geschehen in der City live verfolgt. Wenn man den Bericht aufmerksam lese, könne man feststellen, dass es sich nicht um eine reißerische Sensationsstory, sondern ausschließlich um eine Dokumentation des Vorganges handele. (2003)