Entscheidungen finden

Kannibalismus

Gerichtsbericht beschreibt detailliert Tötung des Opfers

Unter der Überschrift “‘Kannibale‘ legt Geständnis ab” berichtet eine Lokalzeitung über den Auftakt zum so genannten “Kannibalenprozess”. Die Staatsanwaltschaft wirft einem 42-jährigen allein stehenden Computertechniker vor, einen 43-jährigen Diplom-Ingenieur “zur Befriedigung des Geschlechtstriebs” erstochen, die Leiche zerstückelt und große Teile des Fleisches wie eine normale Mahlzeit zubereitet und gegessen zu haben. Der Artikel der Zeitung beruht auf einer Agenturmeldung, die beinahe wortwörtlich abgedruckt wird. Ausführlich werden die grausamen Einzelheiten der Tötung des Opfers beschrieben. Viele Details aus dem Geständnis werden wiedergegeben. So ist z. B. zu lesen: “Danach habe er B. wunschgemäß in sein Geschlechtsteil gebissen”, “‘Wenn ich bewusstlos bin, dann stichst du mich ab‘, zitiert der Angeklagte den 43-jährigen” oder “‘Jetzt schneid mir das Ding ab‘. Erst mit einem großen Schlachtermesser sei dies gelungen. B. habe furchtbar geschrien, aber nach kurzer Zeit gesagt, er habe überhaupt keine Schmerzen mehr”. Und in wörtlicher Rede heißt es: “Er wollte das Geschlechtsteil in rohem Zustand essen ... Ich habe das Teil entsprechend halbiert.” Ein Naturwissenschaftler sieht in der ausführlichen Schilderung des Tathergangs eine schockierende Berichterstattung und beschwert sich beim Deutschen Presserat. Die Darstellung in der Zeitung sei keineswegs durch eine sensationsheischende Wortwahl geprägt. Die Brutalität des Artikels äußere sich seines Erachtens viel perfider in der minutiösen Wiedergabe grausamer Details, die man ohne Verlust des Informationsgehaltes einfach hätte weglassen können. Diese Berichterstattung habe Bilder in seinen Kopf projiziert, die er nicht so leicht wieder loswerde. Wenn dies einem nicht gerade zart besaiteten Erwachsenen schon so ergehe, fragt der Beschwerdeführer, was möge ein derartiger Bericht dann erst im Kopf von Jugendlichen und Kindern auslösen? Der Chefredakteur der Zeitung räumt ein, dass der Nachdruck des Agenturtextes eine “Panne” war. Es entspreche nicht der Leitlinie des Hauses, derartige Berichte den Lesern – auch mit Blick auf deren Kinder – zuzumuten. Dieser Beitrag hätte nicht erscheinen dürfen. Der Chefredakteur bedauert den Fehler und versichert, dass seine Leser nicht mit weiteren Details aus dem Verfahren belästigt werden würden. (2003)