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Kannibalismus

Tötung bei lebendigem Leib wird detailliert beschrieben

Unter der Schlagzeile „Der irre Kannibale – Wird er jetzt auch noch reich?“ berichtet ein Boulevardblatt über den dritten Prozesstag im Verfahren gegen einen 42-jährigen Computertechniker, dem die Anklage vorwirft, einen 43-jährigen Diplomingenieur erstochen, zerstückelt und teilweise gegessen zu haben. Der „Menschenfresser“ sitze in seiner Einzelzelle im Gefängnis und schreibe an seinem Buch über die „Schlachtung“, meldet die Zeitung. Das Blatt zitiert den Anwalt des Angeklagten, wonach dieser Angebote erhalten habe, seine Geschichte zu verfilmen. Dabei solle es um Millionen gehen. In dem Bericht wird über die Tat selbst u. a. wie folgt berichtet: „Danach schlachtete der Kannibale sein Opfer bewusst bei lebendigem Leibe“. Per Foto wird ein Vergleich des Täters mit dem Kannibalen in dem Film „Das Schweigen der Lämmer“, Hannibal Lecter, dargestellt von Anthony Hopkins, hergestellt. Dieselbe Darstellung findet sich auch im Online-Angebot der Zeitung. Eine Leserin nimmt die Veröffentlichungen zum Anlass einer Beschwerde beim Deutschen Presserat. Die Darstellung sei unangemessen sensationell und berücksichtige auch nicht den Schutz der Jugend. Einzelheiten der Ermordung des Opfers, z. B. die Amputation von Gliedmaßen und die Tötung bei lebendigem Leib, werde mit reißerischen Begriffen wie z. B. Menschenfressern und Schlachtung in Zusammenhang gebracht. Der übertrieben sensationelle Charakter des Artikels werde durch die zusätzliche Fotogalerie „Das sind die blutigsten Menschenfresser der Welt – klicken Sie hier“ noch untermauert. Zudem stelle der Vergleich des Täters mit dem Filmkannibalen Hannibal Lecter in ihren Augen eine Jugendgefährdung dar, da er Realität und Film miteinander in Verbindung bringe und somit eine gewaltverherrlichende Wirkung besonders bei Jugendlichen hervorrufe. Die Rechtsabteilung des Verlages hält die Beschwerde für unbegründet. Indem sie sich über die Worte „Schlachtung“ und „Menschenfresser“ beschwere, verkenne die Beschwerdeführerin, dass die Wortwahl zutreffend das außergewöhnliche und einmalige grausame Wirken des „Kannibalen“ wiedergebe, ohne hierbei zu übertreiben. Für die Tat gebe es keine andere Begriffswahl. Im Zusammenhang mit dem Prozess sei in der Öffentlichkeit auch über die „Vorbildfunktion“ von Horrorfilmen diskutiert worden. Vor diesem Hintergrund sei die kritische Auseinandersetzung mit dem erfolgreichen Horrorfilm „Das Schweigen der Lämmer“ publizistisch vertretbar. Die Zusammenfassung des in der Verhandlung vorgespielten Videos halte sich im Rahmen zulässiger Berichterstattung, da diese Aufzeichnung zu den wichtigsten Beweismitteln zähle. Die Presse müsse ihrem Informationsauftrag nachkommen. (2003)